Artikel • BISS

Wir hätten es geschafft

Drei bayerische Unternehmer haben aus sozialer Verantwortung, aber auch aus unternehmerischen Erwägungen heraus Flüchtlinge angestellt. Enttäuscht wurden sie nicht von ihren Angestellten, sondern von den staatlichen Institutionen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Christian Gasteiger, Landwirt, Pfaffenhofen an der Ilm

Als vor einigen Monaten unser langjähriger Mitarbeiter kurzfristig gekündigt hat, standen wir vor einem Problem: Wir sind ein kleiner Familienbetrieb, in dem viele Aufgaben von Mauern über Schreinern bis zum Hofkehren anfallen. Da ist es nicht einfach, jemanden zu finden, der handwerklich geschickt ist, hinlangt, wo es nötig ist, und noch dazu ins Familienteam passt. Wir haben daraufhin eine Zeitungsannonce aufgegeben, und schließlich hat sich eine Asylhelferinaus der Nähe gemeldet. Ich hatte mich schon vorher mit dem Thema Zuwanderung befasst, konnte mir aber kein Bild davon machen, was passieren würde, wenn man einen Flüchtling bei sich beschäftigt. Wir haben es trotzdem gewagt und im November 2016 Rahmadulla Sidiqi aus Afghanistan eingestellt und können nur sagen: Der junge Mann ist sehr angenehm, motiviert und extrem zuverlässig. Am schlimmsten ist es für ihn, wenn er mal fünf Stunden nichts zu tun hat. Und bevor er abends geht, fragt er immer: „Was machen wir morgen?“ Ich glaube, er schätzt auch den Familienanschluss, den er bei uns hat. Das alles ist trotzdem nicht einfach. Morgens kommt er mit einer Fahrgemeinschaft zu uns; wenn das nicht klappt, trampt er. Die Sprache ist noch ein kleines Hindernis, außerdem gibt es bürokratische Probleme: Weil wir gerade eh anbauen, wollten wir eine Mitarbeiterwohnung schaffen. Damit Rahmadulla dort wohnen kann, brauchen wir einen Wohnantrag – und das, obwohl er jetzt 311 Euro zahlt, um in einem 4-Bett-Zimmer zu übernachten. Von dem, was Rahmadulla in seiner Heimat erlebt hat, erfahren wir nur Bruch stücke. Im Gespräch wird immer wieder klar, dass er traumatisiert ist. In Afghanistan war er wohl im Gefängnis und wurde dort geschlagen. Erst als wir ihn zum Neurologen und zum Allgemein mediziner begleitet haben, haben wir erfahren, dass ihm hier Psychopharmaka verschrieben worden sind. Unter deren Einfluss hatte er auch sein amtliches Gespräch für den Asylantrag. Ich glaube, das Gespräch ist auch deshalb nicht gut gelaufen, weil es in seiner Mentalität liegt, immer zu sagen, dass „alles gut“ ist. Im April haben wir nun tatsächlich durch ein Schreiben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erfahren, dass sein Antrag auf Asyl abgelehnt ist und er keine Duldung erwarten kann. Für uns fühlt sich das an, als wären die Mühen der vergangenen Monate umsonst gewesen. Ich habe unter anderem an den Bundestagsabgeordneten unseres Wahlkreises einen langen Brief geschrieben. Darin habe ich auch geschildert, dass wir mit der Anstellung von Rahmadulla unserer sozialen Verantwortung als Unternehmer nachgekommen sind, die die Politik immer wieder fordert. Er hat uns ein eher allgemein gehaltenes Antwortschreiben geschickt, aber versprochen, den Fall noch mal zu prüfen. Ich denke, dass man durchaus darüber diskutieren kann, ob die Entscheidung von Bundeskanzlerin Merkel im Herbst 2015 richtig war. Aber in dem, was aktuell passiert, sehe ich einen Widerspruch: Wir versuchen, unseren Kindern christliche Werte beizubringen, aber selbst wollen wir nicht helfen. Dass Menschen, die hier zu arbeiten angefangen haben, abgeschoben werden sollen, finde ich erst recht falsch. Das ist so, als würden Sie die Feuerwehr zu einem brennenden Haus schicken, um hinterher zu sagen: Das wollten wir eh abreißen. Der gesunde Menschenverstand und das derzeitige Asylrecht passen da jedenfalls nicht zusammen. Wir bräuchten ein Migrationsrecht statt des heute geltenden Integrationsrechts. Dabei müsste im Asylverfahren die Leistung der Asylbewerber und der Unternehmer berücksichtigt werden.

 

Jochen Illauer, Geschäftsbereichsleiter bei Motoren Bauer, Weilheim

Den Christian haben wir nicht gesucht, er hat uns gefunden. Das ist selten, denn eigentlich hat man heute in allen Handwerksberufen das gleiche Problem: Wir finden zwar Azubis, aber die guten wollen in den Hochtechnologie-Bereich, und große Firmen wie Audi und BMW sind nicht weit. Menschen, die einfach Mechaniker sein wollen, sind rar. Der Christian ist an einem Freitagnachmittag im Herbst 2015 bei uns reingeschneit und hat gesagt: Ich will arbeiten. Damals war er seit Mai 2014 in Wildsteig und hatte sich schon ein wenig weitergebildet. Bei der Arbeitsagentur wollten sie ihn in die Gastronomie stecken. Aber er hat in seiner Heimat Nigeria an Autos geschraubt, das wollte er hier auch. Deshalb hat er bei uns ein Praktikum gemacht. Danach durfte er nicht mehr arbeiten, aber er ist an Weihnachten und Silvester trotzdem gekommen, weil er sich seinen Lebensunterhalt selbst verdienen wollte – ich habe ihm dann gesagt, dass das nicht geht. Bis er bei uns richtig anfangen konnte, war es kompliziert. Das, was möglich ist und was nicht, wird von Behörde zu Behörde unterschiedlich gehandhabt. Zum Beispiel bräuchte er als Kfz-Mechaniker einen Führerschein, schon aus Versicherungsgründen. Es ist aus Unternehmersicht schwierig, durchzublicken, wer wofür zuständig ist und was wir tun müssen, damit er arbeiten darf, weil er das wirklich will. Noch ein Beispiel: Um zu uns und zurück in seine Unterkunft zu kommen, ist er dreieinhalb Stunden am Tag unterwegs. Bei uns auf dem Gelände gibt es sogar ein Gebäude, das Asylbewerber beherbergt. Unser Chef wollte, dass er da unterkommt, da bräuchte er nur über den Zaun zu springen, aber das war unmöglich. Christian hatte im September sein Interview beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Er ist kein Heiliger, aber grundehrlich – deshalb wusste er im Gespräch vermutlich nicht genau, welche Lücken er hätte nutzen können. Immer wieder hatte er Ärger mit der Polizei. Das ist kein Wunder: In seiner Unterkunft ist er der Einzige, der arbeitet. Die anderen sind nachts lange wach, machen Party, er muss um fünf aufstehen, damit er um sieben in der Arbeit sein kann, da gibt es Ärger unter den Bewohnern. Wie das mit den Kollegen gelaufen ist, war überraschend. Viele Mechaniker sind eher konservativ, aber in Christians Integration hat jeder Herzblut eingebracht. So wie sonst unsere Lehrlinge integriert werden, wurde auch er eingebunden. Als das Betriebsfest anstand, haben ihn die Kollegen aus der Unterkunft in Wildsteig abgeholt. Genau so funktioniert Integration. Schließlich kam der Bescheid, dass er abgeschoben werden soll – das war für uns alle ein Schock. Ich habe mich mit Mitarbeitern unterhalten, und alle sagen: Genau die, die integrationswillig sind, müssen jetzt gehen! Meiner Meinung nach gehört das Einwanderungsgesetz angepasst. Es geht darum, die, die da sind, einzubinden. Doch stattdessen gilt in der Politik das Prinzip „Kopf in den Sand“. Dabei wäre es doch eine gute Lösung, wenn die, die hier sind und vernünftig arbeiten, bleiben dürfen. Das gäbe uns als Firma Sicherheit, aber auch den Flüchtlingen. Und gleichzeitig wäre ein Haufen Fälle auf einmal vom Tisch. Bei der derzeitigen Vorgehensweise kommt man als Arbeitgeber schon mal ins Grübeln, ob sich der Aufwand wieder lohnen würde.

 

Julia Lechner, Friseurmeisterin, München

Wir haben eigentlich gute Erfahrungen damit gemacht, Flücht linge zu beschäftigen. Vor drei Jahren hat ein junger Mann aus dem Irak bei uns angefangen. Er arbeitet bis heute bei uns und ist der beste Lehrling, den wir je hatten. Darum, und auch, weil es immer schwerer wird, Auszubildende zu finden, dachte ich, als die Zahl der Flüchtlinge stieg: Wenn sich jemand bewirbt, gehe ich den Weg wieder. Schließlich habe ich über eine Bekannte Helen aus Nigeria kennengelernt. Sie hatte davor ein paar Jahre in Italien gelebt. Ich hatte das Gefühl, dass sie wirklich Lust auf den Job hat. Als sie anfangen wollte, hatte sie noch keinen Aufenthaltstitel. Deshalb habe ich mit dem Arbeitsamt gesprochen: Wenn ich da Arbeit reinstecke, hätte ich gern die Garantie, dass Helen nicht irgendwann gehen müsse. Da hieß es, man könne sich nicht vorstellen, dass jemand mit einem Arbeitsplatz ausgewiesen wird. Das hat mich beruhigt, und ich war, auch wenn sie mal besorgt war, immer überzeugt: Wir kriegen das hin. Schließlich habe ich sogar einen Zuschuss wegen des zusätzlichen Aufwands erhalten. Helen hatte dadurch für ein Jahr den Status einer Vorstufe zum Azubi. Aber genau dann, als sie richtig eingearbeitet war, passierte der Super-GAU, es kam der Abschiebungsbescheid. Obwohl es die 3+2-Regelung für Flüchtlinge in Ausbildung gibt! Aber die gilt eben nicht für die Vorphase, in der Helen war. Anfangs habe ich das gar nicht richtig verstanden – sie hatte zwischendurch mal erzählt, dass sie zum „Interview“ nach Regensburg müsse. Die Tragweite war mir nicht klar, sonst hätte ich sie begleitet. Jedenfalls ist das Gespräch nicht gut gelaufen. In Italien war sie wohl, wie viele alleinstehende Frauen aus afrikanischen Staaten, auf dem Straßenstrich, das haben wir aber erst nach vielen Monaten erfahren. Deshalb ist sie jedenfalls weitergeflohen. Das aber wollte sie dem männlichen Gesprächspartner bei der Anhörung für ihren Asylantrag nicht erzählen. Sie hat wohl nur gesagt, sie hoffe auf bessere Lebensverhältnisse. Das hat nicht gereicht. Als das Schreiben mit der Ablehnung des Antrags kam, war Helen völlig aufgelöst, sie stand tr.nenüberstr.mt im Laden. Wir haben einen Anwalt kontaktiert, außerdem haben wir Briefe an die Ämter geschrieben, dass sie eine gute Arbeitskraft ist, sich integriert, die Lehrer der Berufsschule begeistert von ihr sind und ich ihren Vertrag bei Bedarf sofort in einen Ausbildungsvertrag umwandeln würde. Als ihr Widerspruch gegen den Asylbescheid verhandelt wurde, ist sie an einen sehr harten Richter geraten. Der hat sich auf das Dublin-Verfahren bezogen, wonach sie nach Italien zurückmusste. Es war einfach Pech: Weil sie in Garching wohnte, war sie in Ebersberg vor Gericht. Wäre das in München verhandelt worden, war der Anwalt überzeugt, wäre es anders gelaufen – weil die Richter hier die Umstände der afrikanischen Frauen in Italien schon kennen. Als letztes Mittel haben wir eine Mappe gepackt: mit einem Ausbildungsvertrag, Schreiben von der Berufsschule und von mir, um damit um ein Visum für die Dauer der Ausbildung zu bitten. Doch obwohl wir alle, die Mitarbeiterin der Arbeitsagentur und die Handwerkskammer, hinter ihr standen, hat der Sachbearbeiter im Landratsamt die Mappe nicht mal angeschaut und ihr stattdessen ihre Ausweispapiere abgenommen. Da bin ich den Eindruck nicht losgeworden, dass die einfach irgendwelche Zahlenvorgaben erfüllen müssen und sich die Geschichten nicht mehr anhören können oder wollen. Helen hat freiwillig das Land verlassen, um nicht darauf warten zu müssen, dass die Polizei sie, wie schon viele ihrer anderen Mitbewohner, aus dem Heim abholt. Ich kann nur sagen: Einen Flüchtling würde ich sofort wieder einstellen, vor allem, weil die sprachlichen Probleme im Handwerk oft nicht so ins Gewicht fallen und viele ja gern sofort arbeiten wollen. Aber ich würde das nur noch mal machen, wenn der Aufenthaltsstatus geklärt ist.

Erschienen im BISS Magazin, Ausgabe September 2017. Die Fotos stammen von Sebastian Arlt.

Lea Hampel