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Same same, but different

Die Kleinstadt Phuket ging lang unter im Dreiklang aus Billigurlaub, Rucksacktouristen und Dauerparty. Das ändert sich derzeit 

“Well you only need the light when its burning low“, haucht die Frau ins Mikrofon. Joob Mingkamonset, schlank, kinnlange schwarze Haare, geschlossene Augen, sitzt in einer zur Bühne umgebauten Nische des „Sanaeha Clubs“. Dahinter ihr Ehemann, auf der Gitarre begleitet er ihre Version des Pophits von Passenger. Freundlich schwingt ihre Musik durch den Raum mit Muschellampen und grob verputzten Wänden.

An den Holztischen sitzen junge Männer und Frauen, sie kichern, summen mit oder unterhalten sich laut. Die Frauen tragen Pumps, Miniröcke und Neon-Nagellack, die Männer Brillen mit schwarzem Rand und Röhrenjeans. Nur das Eis in den Getränkekübeln verrät, dass diese Bar nicht in New York, Amsterdam oder London liegt. Alle zwanzig Minuten müssen die Würfel ausgetauscht werden. Es ist heiß – und das im März. Denn das hier ist eben keine westliche Großstadt, sondern Phuket Town, mit etwa 100 000 Einwohnern so groß wie Moers.

Phuket, das war einst exotisches Ziel für abenteuerhungrige Individualtouristen. Geändert hat sich das spätestens mit den ersten Direktf lügen aus Europa. Seitdem ist die Insel in der Andamanensee mit ihren weißen Stränden, langen Buchten und sanften grünen Hügeln Standardprogramm für west-europäische Studenten, australische Rentner und junge Israelis nach der Armee. Spätestens seit Ko Phi Phi in einem James-Bond-Film und ein Stück hiesiger Urwald in „The Beach“ mit Leonardo DiCaprio im Kino zu sehen waren, ist Phuket Synonym für Rucksacktourismus und Feiern ohne Ende geworden – eine von vielen Stationen auf dem „Banana Pancake Trail“, Name für die Routen, die in Südostasien so viel bereist werden, dass sich lokale Geschäfte den Bedürfnissen westlicher Touristen anpassen und unter anderem Bananenpfannkuchen anbieten.  phuket-town-2

Während sich die Mehrheit der Phuket-Besucher direkt nach der Landung auf dem kleinen Phuket International Airport immer noch direkt auf den Weg macht zu mal mehr, mal weniger luxuriösen Strandunterkünften, ändert sich in den letzten Jahren etwas: Immer öfter fahren sie gen Phuket Town, das Durchgangsstädtchen entwickelt sich derzeit zu einer Art Soho zwischen Bananenbäumen.

Wie das geht, lässt sich am besten am Suriyadej-Kreisverkehr beobachten. Dort nehmen Reisebusse die Kurve ebenso rasant wie Mopeds. Am Rand des Verkehrskarussells liegt die „Phuketique“. Von weitem leuchtet die untere Gebäudehälfte blau, die obere gelb. Drin steht Khun Yui hinter der Theke, eine junge Frau. In der Glastheke vor ihr liegen Waffeln, daneben steht eine italienische Kaffeemaschine, an der durchsichtigen Wand des Mixers laufen langsam die Reste eines Mangoshakes herunter. An den Tischen sitzen junge Menschen an ihren Laptops. „Ich wollte schon vor zehn Jahren einen eigenen Laden, wo es gemütlich ist – wo man essen und trinken, aber auch einfach Zeit vertrödeln kann“, erzählt Yui, 34 Jahre. Seit dem Juli 2013 ist ihr Traum Wirklichkeit, sie kommt täglich her, das Geschäft läuft gut.

Die „Phuketique“ liegt am Rande dessen, wovon die Stadt gerade profitiert: Wenige Fußminuten von hier verlaufen die Thalang- und die Dibukstraße, zwei der Altstadtstraßen von Phuket Town. Dort reiht sich ein buntes Häuschen ans nächste, grelles Gelb wie das der „Phuketique“ kontrastiert mit Rosa, Türkis und Hellblau; sie alle leuchten, als wollten sie den grauen Abgasen der vorbeisausenden Mopeds und den schwarzen Stromleitungen, die bündelweise die Straßen überziehen, etwas Fröhliches entgegensetzen. Entstanden sind sie im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, auch deshalb scheint dieser Teil von Phuket Town wie eine Legoland-Variante Amsterdams: Schmale Fassaden mit Arkaden für die Fußgänger und die Waren der Läden, darüber Balkone, im vorderen Bereich, die oft in Wohnhäuser übergehen.

Die Fläche, auf der diese „sino-portugiesisch“ genannte Architektur das Stadtbild prägt und an britische Handelskolonien erinnert, macht auf der Karte der Stadt keinen hal- ben Quadratkilometer aus und erzählt doch viel von deren Geschichte: Seit Hunderten Jahren ist sie Handelsort. Früher wurde im Norden Phukets Zinn abgebaut, der Hafen im Süden war die Verbindung zu großen Handelsrouten. Phuket selbst war nie unter Kolonialherrschaft, doch die Einf lüsse der Portugiesen, Malayen und Chinesen, die hier waren, schlagen sich bis heute nieder: an fast allen Gebäuden hängen kleine Tempel für die Hausgeister, in manchen Nebenstraßen finden sich chinesische Tempel, aber auch 60er-Jahre-Zweckbauten und Moscheen.

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„Baba“ ist der Begriff für die Bewohner von Phuket, viele haben nicht nur thailändische, sondern auch chinesische und indische Wurzeln, sind kontaktfreudig und haben Unternehmergeist, gleichzeitig hängen sie an ihrer Heimatstadt und bleiben öfter als in anderen Regionen. Viele machen es wie „Phuketique“-Besitzerin Khun Yui. Bevor sie ihren Laden eröffnet hat, hat sie zehn Jahre in Hotels gearbeitet. Freunde aus dem Ort haben sie mit Geld unterstützt, und viele der Menschen, die bei ihr Kaffee trinken, kennt sie aus ihrer Zeit in den Hotels. „Vor ungefähr drei Jahren hat es begonnen, dass sich hier so viel tut.“ Die Besitzerin des „Sanaeha Clubs“ trifft sie ebenso regelmäßig wie Musikerin Joob Mingkamonset – denn die wiederum verdient einen Teil ihres Geldes mit Auftritten in den Resorts der Insel. „Jeder kennt jeden, von der Schule, von der Arbeit – wie eine große Familie“, sagt Khun Yui. Noch sind zudem die Mieten günstig. „Viele Besitzer wohnen selbst in ihren Häusern, und wenn sie etwas vermieten, dann zu zahlbaren Preisen“, sagt Khun Yui. Und so finden in den letzten Jahren Vernissagen im Zwei-Tages-Rhythmus statt, es gibt historische Stadtführungen, Handarbeitsmärkte und vegetarische Restaurants. Orte wie das bekannte Büchercafé „Bo(ok)hemian“, die einst Leuchttürme waren, sind nun Punkte in einer Karte voller Erlebnisse, die sich ständig verdichtet.

Das Geheimnis aber, warum die Stadt mit den alten Wurzeln einen neuen Boom erlebt, ist für Khun Yui ein anderes. „Die Gäste aus aller Welt, aus anderen Provinzen, die Menschen, die hier wohnen, für alle ist etwas dabei, und alle mischen sich.“ Damit meint Khun Yui Orte wie das „Raya“-Restaurant, etwas abseits der Dibukstraße. Das längliche Haus sieht heruntergekommen aus, drinnen haben Wände und Decken das altmodische Gelb von Vanilleeis, auf dem Boden liegen Kacheln, denen man ansieht, dass schon Hunderttausende Füße drübergehastet sind. Auf den Tischen stapeln sich Schälchen und Servietten, Großfamilien drängen sich ebenso um die Tische wie Geschäftsleute im Anzug und englische Touristinnen in großflächig bedruckten Blusen. In einer Ecke sitzt Khun Rose. Die Chefin spricht nicht viel, sie beobachtet friedlich das Treiben, das bis ins obere Stockwerk reicht, in das eine schmale, permanent über- füllte Holztreppe führt. Sie muss auch nicht viel sagen, die Unterschriften an der Wand hinter ihr sprechen für sich: Das „Raya“ ist eine Legende. Filmstars haben hier schon gegessen, und unter den Stadtbewohnern hält sich das Gerücht, dass sich Mitarbeiter von Thai Airways von Kollegen das Essen von dort mit nach Bangkok bringen lassen – weil das Krabbencurry hier so gut ist wie nirgends in der Hauptstadt. Und so günstig wie an wenigen Orten in Phuket selbst.

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Noch. Denn auch die Stadtverwaltung hat mittlerweile festgestellt, dass der bunte Charme gut ankommt. Es gibt eine Stiftung, die kulturelles Geschehen fördert, Bürger, die ihre Häuser gut in Schuss halten, bekommen eine Aus- zeichnung. Die Mieten steigen bereits. Immer öfter sind es nicht Menschen von hier wie Khun Noi, die nach dem „Sanaeha Club“ nun eine Galerie eröffnet. Sondern es ziehen Geschäftstüchtige aus dem 850 Kilometer entfernten Bangkok her. Mit jeder Galerie, jedem Coffeeshop kommen neue Hostelzimmer und Tourenangebote dazu; sogar das „On On“ von 1927, das älteste und bekannteste Hotel der Stadt, das im DiCaprio-Film „The Beach“ vorkommt, wurde zuletzt renoviert. „Es wird alles sehr schnell größer und größer“, sagt „Phuketique“-Betreiberin Khun Yui. „Wer weiß, wie lang diese gute Phase noch dauert.“ Drei bis vier Jahre, hofft sie, wird es noch so bleiben. Doch auch sie geht mit der Zeit. Seit einer Weile hat sie Craftbeer im Angebot. Ein Freund aus Bangkok hat ihr das in einer kleinen Brauerei erzeugte Getränk empfohlen, längst gibt es für diesen Trend in westlichen Städten eigene Bars. „Aber in Phuket kannte das noch keiner, hier kommt es gut an“, freut sich Khun Yui. Bis zum Bananenpfannkuchen ist es dann aber vermutlich nicht mehr weit.

Erschienen im Reiseteil der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung am 10. Mai 2015.

Lea Hampel