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Raum zum Leben

Millionen Menschen leben in Flüchtlingscamps. Versorgt werden sie von einer gigantischen Branche, doch die Hilfe geht an den Bedürfnissen vorbei. Ein Deutscher will das ändern – und den Flüchtlingen wieder eine Perspektive geben

Von weitem sieht Za’atari aus wie ein See aus Salz, ein weißer Fleck mitten in der braunen Wüste Nordjordaniens. Kommt man näher, wird er immer größer, bis aus dem See ein Meer geworden ist: Tausende Container und Zelte, gedrängt dicht an dicht – alle weiß. Za’atari ist das größte Flüchtlingslager Jordaniens, 90 000 Menschen leben hier, und täglich werden es mehr. Kaum 30 Kilometer sind es bis zur Grenze zu Syrien, von dort kommen die Busse. 300 Menschen steigen aus ihnen aus, jeden Tag, und schlagen ihre Zelte auf. Die meisten stammen aus dem Süden Syriens, oft Händlerfamilien, seit Generationen.

Champs-Élysées haben sie die Hauptstraße ihres neuen Wohnorts genannt, aus Spaß, aber auch aus Trotz: Seht her, wir lassen uns nicht unterkriegen. Aneinandergereiht drängen sich kleine Buden auf der schnurgeraden Straße, arabische Musik plärrt aus Lautsprechern, es riecht nach Falafel, Grillhähnchen und Parfüm.

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An die tausend solcher Läden gibt es in Za’atari, per Laster oder Schubkarre bringen die Menschen Schuhe, Werkzeug, Geschirr, Hemden oder Essen in das Lager. Dort liegen die Waren neben Decken und Zelten der Hilfsorganisationen zum Verkauf. Erlaubt ist das nicht, Handel ist im Lager generell verboten. Denn auch wenn Za’atari für jordanische Verhältnisse eine Großstadt ist, so sind seine Bewohner keine freien Bürger. Sie sind Flüchtlinge, wie 45 Millionen Menschen auf der Welt.

Laut dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) sind heute so viele Menschen auf der Flucht wie nie zuvor. Sie fliehen vor Kriegen, Verfolgung, Dürren oder Hungersnöten. Das gab es schon immer, doch anders als früher ist heute kaum abzusehen, wann Fliehende in ihre Heimat zurückkehren können. Steigende Bevölkerungszahlen und der Klimawandel sorgen dafür, dass sie kaum Platz finden für ein neues Leben. Sie bleiben Flüchtlinge.

Doch während die Lager immer größer werden, hat sich in der Flüchtlingshilfe über Jahrzehnte kaum etwas bewegt. Die Methoden und Mittel sind heute fast die gleichen wie vor 20, 30 oder 50 Jahren: Die Organisationen liefern in kürzester Zeit Zelte, Wasser, Nahrung, Hilfsgüter – was sie aber nicht bieten, ist eine Perspektive für die Zukunft. Die Bewohner der Camps dürfen in ihrem Aufnahmeland meist weder arbeiten noch studieren oder feste Häuser bauen. Sie sind lediglich geduldet, in der Hoffnung, dass sie schnell wieder zurückgehen. Doch Za’atari wird bald zwei Jahre alt und ein Ende ist nicht in Sicht. Wer Menschen lange Zeit keine Wurzeln schlagen lässt, macht Entwurzelte aus ihnen. Menschen ohne Arbeit, ohne Heimat, ohne Perspektive.

Selbst Flüchtlingshelfer sagen heute, dass etwas Grundlegendes falsch läuft. Dass die Situation in vielen Lagern unhaltbar geworden ist. Slums haben sich daraus entwickelt, in denen Kriminalität blüht und neue Konflikte entstehen. Die Menschen beginnen aufzubegehren. Sie demonstrieren gegen autoritäre Hilfe und Essenspakete und für ein Minimum an Rechten. Mehr und mehr setzt sich die Überzeugung durch, dass, wenn sich nichts ändert, schon bald aus den Protesten Aufstände werden. Erstmals geben auch die Helfer zu, dass sie Hilfe brauchen.

Weit weg von der jordanischen Wüste sitzt einer, der das richten will. Daniel Kerbers Atelier liegt in einer alten Fabrik in Berlin-Wedding. Draußen tragen die Bäume sattes Grün, über das Kopfsteinpflaster rumpeln BMW, aus denen Gangsta-Rap wummert. Das RotaprintGelände gehörte früher mal einem Druckmaschinenhersteller, heute kleben am Klingelbrett die Namen von Künstlern und Sozialprojekten, irgendwo dazwischen auch der von Daniel Kerber.

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Der 43-Jährige trägt Designerbrille, Kapuzenpulli und Dreitagebart, die grauen Haare stehen senkrecht nach oben und er benutzt gerne Begriffe wie Top-DownHilfe oder Mindset. „More than Shelters“ hat der Designer sein Unternehmen genannt, denn das genau ist sein Plan: Er will Flüchtlingen mehr geben als nur ein Dach über dem Kopf. Nach seinem Kunststudium hatte Kerber begonnen, die Welt zu bereisen. Er besuchte Armenviertel in Brasilien, Afrika und Asien. Er bemerkte, dass Menschen überall anders wohnen – und dass genau das bei einem herkömmlichen Flüchtlingszelt nicht möglich ist. „Bisher sind Flüchtlingslager Überlebensräume“, sagt Kerber. „Wir wollen Lebensräume daraus machen. Die Menschen sollen ihr Schicksal wieder selbst in die Hand nehmen, sonst werden die Lager zu Brutstätten neuer Konflikte. Darum ist es wichtig, dass die Flüchtlinge über ihr Zuhause bestimmen können.“ Kerbers Erfindung dafür heißt Domo.

Auf den computergenerierten Bildern schmiegen sich futuristische Rundhütten wabengleich aneinander. Ähnlich wie bei einem Zelt wird die Außenhaut auf ein Gerüst gespannt, damit die Konstruktion auseinandergenommen klein und leicht genug ist, um in großer Menge in Krisenregionen gebracht zu werden. Anders als bei den herkömmlichen Behausungen lassen sich die Teile des Domos aber austauschen, frei kombinieren und vor allem an die Gegebenheiten anpassen, an Klima, Sozialoder Familienstruktur. „Niemand“, sagt Kerber, „weiß besser, was er braucht, als die Menschen vor Ort.“ Mit ihrer Idee gewinnen Kerber und sein Team Preise, sie bekommen Förderungen und Beifall.

Jede effizientere Lösung birgt für die Mitarbeiter der NGOs eine Gefahr – die Hilfsindustrie ist auch Arbeitgeber 

Bei den Hilfsorganisationen stößt er aber erst einmal auf Skepsis. Dabei hatte Kerber, bevor er sich das erste Mal an eine Organisation wandte, ausführlich recherchiert: Welche Anforderungen gibt es an die Zelte? Wie groß, schwer, lang dürfen sie sein, was dürfen sie kosten und wie kommen sie von der Fabrik in die Lager? Er suchte im Internet Ansprechpartner, besuchte Konferenzen, erzählte immer wieder von seinen Plänen – doch statt auf Begeisterung, stieß er auf Widerwillen und oft auf Übermüdung: Jede Organisation bekommt täglich Dutzende Flyer in die Hand gedrückt, von Erfindern und Kreativen, die hoffen, ihre „Innovation“ loszuwerden. Meterweise stehen in den Büros der NGOs die Ordner, randvoll mit Vorschlägen für neuartige Toiletten, Decken, Kanister. Einige haben die Mitarbeiter der Hilfsorganisationen ausprobiert, andere sofort verworfen. Das Wort Innovation löst bei vielen darum längst Widerwillen aus. Die Organisationen sind in Darfur oder dem Libanon unterwegs. Sie wollen nicht von Produktdesignern, die Wüstensand höchstens aus dem Reiseprospekt kennen, erklärt bekommen, welche Vorlegematten sich besser für Flüchtlingszelte eignen.

„Mir war schnell klar: Wenn ich bei einer Konferenz auf die fünfzig Flyer meinen obendrauf lege, bringt das gar nichts“, sagt Daniel Kerber. Und gleichzeitig birgt jede effizientere Lösung für die Mitarbeiter der NGOs eine Gefahr – schließlich ist die Hilfsindustrie auch Arbeitgeber. Die globale Hilfe ist eine hochprofessionelle Branche, allein das UNHCR verfügte im letzten Jahr über ein Budget von 5,3 Milliarden US-Dollar und hat derzeit knapp 8000 Mitarbeiter in über 125 Ländern. Wenn es irgendwo auf dem Globus eine Krise gibt, wenn ein Krieg ausbricht oder eine Katastrophe passiert, beginnt fast zeitgleich die Hilfe. Eine gigantische Maschinerie aus Produzenten, Lieferanten und Logistikern kommt in Gang. Und am besten versteht man sie, wenn man in ihr Innerstes blickt.

Eine Autostunde von Dubai in der Wüste steht Soliman Daud zwischen Regalreihen in einer Halle. Der große Mann im weißen Hemd zeigt neben Kartons mit Tausenden Moskitonetzen auf sein wichtigstes Lagergut: Das Familienzelt, für fünf bis sechs Personen, mit doppelter Plane, feuerund wasserfest. Daud leitet das Global Emergency Stockpile, das größte Materiallager des UNHCR. Rund 20 000 Quadratmeter groß ist das Gelände, die Mitarbeiter fahren mit Fahrrädern hin und her. Millionen Kartons und eingeschweißte Päckchen lagern hier. Keinen Staub, kein Sandkorn gibt es in den Hallen, ein krasser Gegensatz zum Dreck und Lärm in einem Flüchtlingslager. Seit 2006 werden hier sogenannte „core relief items“ für 350 000 Menschen gelagert, Gegenstände, die bei jedem Notfall vom Erdbeben bis zum Bürgerkrieg sofort benötigt werden: Zelte, Plastikdecken, Kanister, Kochgeschirr, Matratzen. Es ist eine der modernsten Einrichtungen des bald 65 Jahre alten UNHCR. Und ein Paradebeispiel dafür, wie Flüchtlingshilfe heute funktioniert.

Wenn Daud abends Nachrichten schaut, ahnt er oft, dass es am nächsten Tag Stress gibt – zum Beispiel, wenn ein Aufstand ausbricht oder Experten ein Erdbeben ankündigen. „Wir wissen dann, wir müssen bereit sein.“ Die Abläufe sind genau vorgegeben. Ein lokales Team des UNHCR bewertet die Lage und informiert die Zentrale in Genf: Wie viele Menschen sind in Not, was benötigen sie, bis wann? Von dort geht die Information laut Protokoll erst nach Budapest, in die Europazentrale, die alle Hilfseinsätze orchestriert.

Noch nie kamen die Zelte so schnell in den Regionen von Katastrophen an wie heute. Die Probleme beginnen dann vor Ort

Wenn die Information bei Daud ankommt, beginnt er, Flüge zu organisieren und zu klären, wie zum Beispiel in Jordanien Plastikplanen und Kochtöpfe vom Flughafen ins 80 Kilometer entfernte Camp kommen. Es laufen SOPs ab, Standard Operational Procedures. Standardprozesse, für die Standardpartner angefragt werden, in einem über die Jahre gesponnenen Netzwerk. Das Ergebnis: Seit Jahren liefern immer die gleichen Unternehmen Zelte, die gleichen Organisationen verteilen Kanister. Die Abläufe, sagt Daud, unterschieden sich nicht von denen eines Möbellieferanten, nur der Antrieb sei ein anderer. „Bei Unternehmen geht es um Profit, bei uns darum, rechtzeitig Leben zu retten.“

Genau das hat noch nie so schnell und unter so unterschiedlichen Bedingungen funktioniert wie heute: Digitale Lagerverwaltungsprogramme sorgen für genügend Material – anders als früher, als Zelte erst beim Hersteller bestellt wurden, nachdem die Erde gebebt hatte. Oft werden schon 24 Stunden nach der Katastrophe Zelte errichtet. „Der schwierige Teil ist aber der, wenn man wirklich vor Ort ist“, sagt Daud. Denn dann gehe es nicht nur darum, ein Kochset zu überreichen. Sondern um Menschenwürde und Individualität.

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Man muss darauf reagieren, dass Menschen vielleicht gewohnt sind, per Hand von großen Platten zu essen. Oder dass die Familienstrukturen in Afrika anders sind als in Asien. Kaum irgendwo zeigen sich kulturelle Unterschiede so sehr wie beim Wohnen: Mal sind Acht-PersonenZelte zu klein, mal zu groß für eine Familie. Mal braucht man einen abgetrennten Bereich für die Frauen, mal für die Alten oder die Kinder. Bisher sind Zelte unflexibler als jedes Haus: Man kann nicht einfach Wände einreißen oder Räume und Stockwerke anbauen. Doch die Aufnahmeländer wollen nicht, dass Flüchtlinge feste Strukturen schaffen, sie wollen keine neuen Häuser oder gar Ortschaften, sie wollen Zelte und Lager.

Und genau das ist das Dilemma, das Kerber lösen will. Seine Zelte könnten es Flüchtlingen ermöglichen, ihr temporäres Heim selbst zu gestalten, es umzubauen, zu vergrößern und individuell zu verändern – ohne dabei jedoch die festen Strukturen zu bilden, die von den Gastländern gefürchtet werden.

Das Base Camp von Za’atari ist ein mit Stacheldraht eingezäunter Bereich. Knapp 150 NGOs haben hier ihre Büros, überall wehen Flaggen mit Logos und Abkürzungen. Es gibt staatliche und nichtstaatliche, katholische und jesuitische, es gibt Lutheraner und Moslems, Finnen, Dänen, Japaner, Saudis – geballte globale Hilfsbereitschaft, alle wollen anwesend sein, denn nur das sichert die Daseinsberechtigung gegenüber ihren Geldgebern und den Organisationen selbst.

Genau das kritisiert Linda Polman seit Jahren. Die niederländische Journalistin war bei Katastrophen in Goma im Osten des Kongos, Sierra Leone oder Afghanistan vor Ort. In ihrem Buch „Die Mitleidsindustrie“ vertritt sie die These, dass Organisationen durch ihre Anwesenheit die Krisen verlängern. Denn so lange es jemanden gebe, der es richtet, könnten es sich Konfliktparteien leisten, weitere Flüchtlinge zu produzieren. Mitleidsindustrie, das ist für sie das Netz aus NGOs, für die Krisen die Existenzberechtigung darstellen. Ein Interesse an Flüchtlingen, die ohne sie zurechtkommen oder in normale Lebensverhältnisse zurückkehren, haben die Organisationen nach dieser Logik nicht. Die Ursache ist für Polman klar: zu große Konkurrenz. Hunderte Organisationen kämpfen permanent um Aufmerksamkeit, Geld und Aufträge. Der gute Zweck allein macht die Arbeit „gut“. Zeit für Reflektion bleibt nicht. Darum werden Ideen abgeblockt, selbst wenn sie gut sind.

Daniel Kerber hat es dennoch nach Za’atari geschafft. Im Frühjahr dieses Jahres steht er mit Laptop und Sonnenbrille auf dem Schotterweg des Camps. Dafür hat er hart gearbeitet, genetzwerkt, anund vorgesprochen, überredet. Er hat von seiner ehemaligen Kunst-LeistungskursLehrerin bis hin zu einem Unternehmer, den er bei der Handelskammer kennengelernt hat, alle eingespannt, die ihm einfielen. Bis ihm einer schließlich das entscheidende Gespräch und damit den Durchbruch verschaffte. Es war ein Termin beim Präsidenten des Technischen Hilfswerks, einem der ganz Großen in der Branche. Eine Stunde, die wertvoller war als 20 Konferenzbesuche. „Da ging es ganz klar um Top oder Flop”, sagt Kerber. Der Prototyp des Zeltes, den er in der Hochschule der Bildenden Künste in Hamburg aufgestellt hatte, überzeugte den Entscheider. Aus einer Stunde wurden dreieinhalb. Am Ende stand fest: Daniel Kerber soll das Team des Technischen Hilfswerks nach Jordanien begleiten, „da gibt es jemanden, den sollten Sie mal kennenlernen“, bekommt er mit auf den Weg.

Ein halbes Jahr später sitzt Kerber mit Kilian Kleinschmidt beim Mittagessen. Der Deutsche ist seit Jahrzehnten in der Flüchtlingshilfe aktiv und wurde als Campleiter nach Za’atari geholt, weil es hier besonders chaotisch zuging. „Hätte ich da meinen Zelt-Pitch rausgeholt, wäre das Gespräch in zwei Minuten vorbei gewesen“, sagt Kerber rückblickend. Stattdessen stellte er Fragen: Wie ist die Situation hier? Wo sind Schwierigkeiten? Es war, als hätte er damit einen Dammbruch ausgelöst.

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Heute ist Daniel Kerber Helfer der Hilfsorganisationen. Das UNHCR hat ein internationales Innovationsteam ins Leben gerufen. Kerber unterstützt die Arbeit vor Ort: Er erklärt den Mitarbeitern Prozesse zur Ideenfindung, macht Brainstorming, nutzt Methoden des Design Thinkings – kurz: Er versucht, ihnen die Werkzeuge zu geben, um die stotternde Hilfsmaschinerie neu zu justieren. Zusammen mit Kleinschmidt will er dafür sorgen, dass Za’atari zu einem Musterbeispiel wird, zu einem Testlager, das nicht als temporäres Flüchtlingscamp gesehen wird, sondern als urbaner Raum, als eine Art Stadt im Entstehen, deren Infrastruktur man neu ordnen oder überhaupt erst aufbauen muss. Bisher werden zum Beispiel jeden Tag Hunderttausende Liter Wasser per Tanklaster nach Za’atari gekarrt. „Das ist weder nachhaltig noch ökonomisch“, sagt Daniel Kerber. Er überlegt nun mit seinem Team, wie man Wasserleitungen verlegen könnte – und wie man die Bewohner des Camps in diesen Prozess einbeziehen kann. Eine andere Idee: Mit Amsterdamer Stadtplanern will er alte Fahrräder in das Camp bringen. Doch statt sie dort nur abzuladen, sollen die Bewohner sie zu Rikschas umbauen, Werkstätten sollen Jugendlichen eine Perspektive für später geben. „Eine ganze Generation wird einen Teil ihrer Jugend in diesem Lager verbringen“, sagt Kerber, „mit den Standardmethoden der Flüchtlingshilfe gibt man ihnen für später keine Chancen.“

Kerber stellte Fragen: Wie ist die Sitiuation, wo sind die Schwierigkeiten? Es war, als hätte er einen Dammbruch ausgelöst

Irgendwann mal sollen auch seine Zelte in Za’atari stehen. Doch längst geht es um viel mehr. So wie man die Domos umbauen kann, so hat Kerber seine Vision erweitert. Lager sollen nicht nur Zufluchtsstätten sein, meint er, sondern Orte, in denen aus passiven Hilfsempfängern mündige Menschen werden.

Die ersten Schritte in diese Richtung geschehen längst ganz von alleine. Mit der Zeit verschwimmen Grenzen zwischen Helfern und Empfängern. Während Kerber noch mit seinem Laptop in der Kantine des Base Camps sitzt – einem Container nur für Mitarbeiter, mit WLAN, bunten Kissen und Popmusik –, vor sich ein labbriges Halumi-Sandwich auf dem Teller, gehen seine Kollegen bereits lieber nach draußen. Es ist zwar verboten, aus Hygienegründen, in einer der Hunderten von Buden im Camp zu essen, doch vielen ist das egal. Denn die Falafel auf dem Champs-Élysées ist nicht nur billiger als im Base Camp – sie schmeckt auch zehnmal besser.

Verfasst gemeinsam mit Christoph Gurk, erschienen im enorm Magazin, Ausgabe 2/2014 vom April/Mai. Die Fotos stammen ebenfalls von Christoph Gurk.

Lea Hampel