Text • Effilee

Mein Schwarm und ich

Imker sind jetzt auch cool. Stadtimker zumindest. Wer seine Bienenstöcke auf Mietshäusern, Balkonen oder öffentlichen Gebäuden platziert, liegt voll im Trend. Und verkaufen lässt sich der inner-City-honig allemal. Deutschland summt. aber warum eigentlich?

Es ist ein warmer Sommertag und Stephan Börger sitzt an seinem Teich. Hinter ihm leuchten grüne Seerosenblätter, ab und zu schwirrt eine Biene über den Tisch, auf der karierten Tischdecke stehen Kaffee und ein Teller mit Butterkeksen. Nur die Flugzeuge, die relativ niedrig im Zehn-Minuten-Takt über das Gelände fliegen, lassen ahnen, dass wir uns in einer großen Stadt befinden. Börgers Reich gehört zu dem Grün, das die Festung und Kulturstätte Zitadelle Spandau am Rande Berlins umgibt. Börger ist Imker. Und hier, in drei Holzhütten, befindet sich alles, was er für sein Hobby braucht. In einer Hütte bewahrt er seine Ausrüstung auf: Gummihandschuhe, Rähmchen, Sägespäne. In einer zweiten lagern die Produktionsgeräte: Schleuder, Abtropfhalterung, Übersichtsliste. Die dritte Hütte braucht er nur an Regentagen: In ihr stehen eine Couch und ein Tisch. Gleich neben den Hütten leben in 19 Holzkisten die, um die es eigentlich geht: die Bienen. Schon von Weitem ist ihr Summen zu hören, es ist Sammelzeit. »Das ist der beste Platz in Berlin«, sagt Börger. Es klingt, als meine er nicht nur seine Bienen – auch Börger scheint sich mit seinen 74 Jahren hier am wohlsten zu fühlen. Kein Wunder, dass er seit einem Vierteljahrhundert fast jedes Wochenende hier ist.

Vor mehr als drei Jahrzehnten war der Mann mit den kurzen weißen Haaren und dem schnoddrigen Berliner Tonfall auf der Suche nach einer Freizeitbeschäftigung. Da erinnerte er sich an seine Kindheit: In den Nachkriegsjahren hatte der Vater eines Tages eine summende Last auf dem Gepäckträger seines Fahrrads. Als sie gemeinsam den ersten Blick auf die Bienen warfen, die die Familie in den harten Jahren mit Honig versorgen sollten, wurde der kleine Stephan mit Stichen übersät. Börger muss schmunzeln, wenn er heute davon erzählt, denn abgeschreckt hat ihn das offenbar nicht, im Gegenteil. »Das ist bei den meisten so, die das Imkern anfangen«, bestätigt später Marc-Wilhelm Kohfink, selbst Imker und Autor mehrerer Bücher über Bienenhaltung. »Da steckt oft eine frühkindliche Prägung dahinter.«

Als er sicher war, dass Bienen und Honig künftig seine Wochenenden füllen sollten, machte sich Börger auf zum nächsten Imkerverein. Über das, was dort passierte, lacht er noch heute: Er traf auf eine Gruppe älterer Herren, die seit Jahrzehnten imkerten, ihr Wissen für edel und geheim hielten, und denen interessierter Nachwuchs höchstens über die Schulter schauen durfte. Jede Woche hielt ein anderer einen Vortrag über seine Errungenschaften. Und Fragen, ob über Schwarmzeit oder Brutzellen, wurden belächelt. Die Herren sagten zu dem bereits über 40 Jahre alten Börger: »Junge, hör einfach zu.« Das tat er, zumindest für eine kurze Zeit. Dann fing Stephan Börger an, einfach mal auszuprobieren. Er las ein Buch seines Vaters, kaufte von einem Vereinskollegen Bienen und stellte sie in Beuten, Bienenkisten, auf einem Grundstück südlich der Stadt auf. Im ersten Jahr holte er sich mehr als hundert Stiche. Rund drei Jahre dauerte es, bis er die Grundregeln verinnerlicht hatte: Ein Imker darf nicht zu früh im Jahr in den Kasten schauen, weil er damit die Tiere stört – er muss auf die ersten warmen Tage im März warten, wenn die bis zu 15000 Bienen eines Volkes, die den Winter überstanden haben, Erkundungsflüge machen. Er kann im April, Mai und Juni seinen Tieren beim Sammeln zuschauen. Und er muss anschließend aufpassen, ob eine Königin heranwächst, die sich eventuell mit einem Teil des Volkes davonmacht.

Inzwischen weiß Börger längst, wann er den ersten Honig ernten kann, dass er im Juli den Schwarm teilen muss, damit es nicht zu eng wird in der Beute, und dass Drohnen, die männlichen Bienen, größer sind als die weiblichen Arbeitsbienen, aber nicht so groß wie Königinnen. Er weiß auch, wie die Waben in welchem Stadium aussehen, wohin die Bienen, in der Hochphase bis zu 80000 pro Volk, ein- und ausfliegen, wie sie Honig und Nektar sammeln, den Eingang bewachen und das Eingesammelte zu Honig verarbeiten. Schließlich verdeckeln sie die Zellen und dezimieren sich ab September langsam, während die Königin Winterbienen legt. So bereitet sich das Volk auf die kalte Jahreszeit vor. »Das ist ein Wunder«, sagt Börger und strahlt.

Längst ist dieser Jahresrhythmus sein eigener geworden. Urlaub macht der Rentner im September, wenn der letzte Honig geschleudert ist, und im Winter genießt er die Pause. Dann ruhen die Bienen, die Winterbienen wärmen die Königin, und Börger muss lediglich Zuckerwasser zufüttern. Börger mag diese Phase, weil er zum Nichtstun gezwungen wird und dadurch die Vorfreude steigt. »Schon im Januar scharre ich mit den Hufen«, sagt er und reibt sich die Hände. »Je länger der Winter geht, desto öfter komme ich zum Schneefegen.«

Bis zu drei Mal im Laufe eines Jahres nimmt Börger die verdeckelten Waben heraus, in denen der Honig ist. Die Rähmchen bewahrt er auf, in ordentlichen Reihen hängen sie in einem der Ständer im Produktionshäuschen, bis ruhigere Tage kommen, an denen er sie ausschleudern kann. »Probieren Sie mal«, sagt er und bricht ein Stück aus einem Rähmchen: eine weißliche Wabe aus kleinen, exakt gleich großen Sechsecken, aus denen seitlich klarer, fast durchsichtiger Honig läuft. Börger legt sie auf einen Glasteller, daneben eine Kuchengabel. Er lächelt, denn er weiß, was kommt, sobald der Gast seine Skepsis überwunden hat und ein kleines Stück in den Mund schiebt. Wie bei einem Kaubonbon mit flüssiger Füllung saugt man den Honig aus dem Wachsgehäuse. Er ist sehr weich und sanft, hat fast schon eine zitronige Note, aber nicht die schwere Süße, die man vom Honig aus dem Supermarkt kennt. Unglaublich.

Stephan Börger schmunzelt, er kennt das schon: »Besonders der Frühjahrshonig ist gut, eine Mischung aus allen möglichen frischen Blüten. Köstlich.« Der Geschmack des Honigs ist von verschiedenen Faktoren abhängig: von der Jahreszeit, in der Pollen und Nektar gesammelt wurden, vom Standort des Kastens, vom einzelnen Bienenvolk. »Es gibt Tausende Honigsorten«, schwärmt Börger.

In der Stadt ist die Artenvielfalt größer als auf dem Land – das gilt nicht nur für Pflanzen

Besonders beliebt ist Sortenhonig, also Honig, der mehrheitlich beispielsweise Klee oder Kastanienpollen enthält. Der gilt als besonders fein, ist aber in der Stadt nur schwer herzustellen – weil dort eine große Artenvielfalt herrscht, tragen die Bienen in der Regel eine bunte Mischung zusammen. Auf dem Land dagegen kann der Imker seinen Bienenstock einfach in ein Rapsfeld stellen und hat nach zwei Wochen verdeckelte Waben voller Rapshonig. Börger macht dennoch Sortenhonig, in Berlin geht das für städtische Verhältnisse mit den vielen Linden besonders gut. 70 Kilogramm eigenen Honig produziert er pro Volk und Jahr, in seiner bisherigen Zeit als Imker macht das fast 40000 Kilogramm Honig. Auch wenn er das mit einem gewissen Stolz erzählt: Inzwischen kommt es ihm auf den Honig nicht mehr an. Um den Gläserkram, wie er das Waschen, Einfüllen und Etikettieren nennt, kümmert sich seine Frau, die sich sonst wenig für sein Hobby interessiert.

Ein ausgefeiltes Vertriebssystem hat Börger nicht. Er ist zwar auf berlin-summt. de vertreten, einer Internetplattform für Stadtimker. Doch die meisten Gläser verkauft er seit Jahrzehnten über Mundpropaganda. Das ganze Jahr hindurch rufen Leute bei ihm an, fragen, wann es wieder Honig gebe, und kommen oft selbst vorbei, um die Gläser abzuholen und einen Kaffee mit ihm zu trinken. Bei 4 Euro pro Glas eine gute Nebeneinnahme, aber in Relation zu Börgers Arbeit steht sie nicht. »Eigentlich ist die Summe empörend niedrig, so günstig dürften wir den nicht machen.« Doch den Preis bestimmt letztlich der Weltmarkt: Honig aus China, Argentinien oder den USA ist wesentlich günstiger.

Börger liebt die Bienen. Die Mischung aus Wild- und Nutztier fasziniert ihn, wenn er von ihnen erzählt, spricht er wie ein begeisterter Kindergärtner von »meinen Drohnenkerlen«. Im Sommer kommt er nahezu täglich zur Zitadelle »Die Zeit, die ich hier verbringe, ist absolut überzogen«, sagt er und lacht, »aber ich finde immer etwas zu tun.« Imkern ist nicht wirklich aufwendig, ein Tag pro Wochenende würde vollkommen ausreichen, um 19 Völker am Laufen zu halten. Aber es geht ihm um mehr als Honigerzeugung.

»Ich kann hier wunderbar abschalten«, sagt er, während er sich am Kaffeetisch zurücklehnt. Nicht umsonst spricht man von Völkern: Bienenhalter zu sein, das hat einen herrschaftlichen Aspekt. Bienenstöcke sind kleine Reiche, die formell eine Königin haben, deren Bevölkerungsentwicklung und Lebensbedingungen jedoch in der Hand des Imkers liegen. Dass sein einsames Hobby ein bisschen kauzig ist, weiß Börger selbst. Aber auch das gehört dazu. Kokett erzählt er: Ob auf Partys oder bei den Nachbarn, der Satz »Ich habe Bienen« garantiert immer Aufmerksamkeit. Die Antworten auf Fragen wie »Ist das auf wendig?« oder »Wie oft wirst du gestochen?« interessieren jeden. Und selbst wer Angst vor Bienen hat, möchte wissen, wie Honig gemacht wird. Gerne erzählt Börger auch, dass die Sängerinnen der Freilichtbühne in der Nähe seiner Stöcke ab und an vor der Vorstellung um Honig bäten, weil ihre Stimme kratze. »Imker sind ein hoch angesehener Stand«, meint er.

Für Börger ist seine Beschäftigung mit Verantwortung verbunden. Seit Jahren zeigt er Schulklassen seine Bienen, vor fünf Jahren hat er begonnen, mit anderen seiner Zunft Probeimkern anzubieten. Wer sich für das Hobby interessiert, bekommt von ihm für einen Sommer ein kleines Volk. Jeden Sonntag ab 10 Uhr gibt es Theorie und anschließend Praxis, Anwesenheit ist moralische Pflicht.

Vorraussetzung fürs Imkern sind genug Kraft, um die Kästen anzuheben, Geduld und die Lust, damit jedes Wochenende einen Tag zu verbringen. Außerdem braucht man eine gute Beobachtungsgabe, um zum Beispiel zu bemerken, wenn ein Volk keine Königin mehr hat. »Im Gegensatz zu früher schauen heute die Schüler nicht mehr mir über die Schulter, sondern ich ihnen«, erläutert Börger. 120 Euro zahlen Probeimker für 80 Stunden Ausbildung. Und wenn sie sich im Herbst gegen das Imkern entscheiden, bekommen sie das Geld zurück. Auf diese Weise hat der Verein Zehlendorf in den vergangenen Jahren seine Mitgliederzahl verdoppelt. »Bei uns kommen in der Sitzung immer erst die Fragen des Nachwuchses, und die werden manchmal die ganze Stunde beantwortet«, sagt Börger und klopft auf das karierte Tischtuch.

Imkern ist eine Wissenschaft für sich: Biooder Demeterhaltung? Welche Art der Beute soll es sein? Halte ich die sanfte Berliner Biene oder eine andere Sorte? Und welche gesetzlichen Vorschriften gibt es? Im Kurs geht es zunächst um die Grundlagen: Bienen ernähren sich von Nektar, dem Drüsensaft der Blüten, und von Blütenstaub, den Pollen. Für ein Kilogramm Blütenstaub brauchen sie 50 000 Sammelflüge, ein Volk verarbeitet etwa 25 Kilogramm Pollen im Jahr.

Dann kommt die Praxis: Imker müssen sich beim Veterinäramt registrieren lassen, ein Tierarzt kontrolliert regelmäßig die Bienen, außerdem braucht man eine Haftpflichtversicherung. Vier Gesetze zur Biene gibt es im Bürgerlichen Gesetzbuch, unter anderem eines, das einem Imker erlaubt, ohne Einwilligung der Eigentümer fremde Grundstücke zu betreten, wenn er seinen Schwarm einfangen will. Und nicht zu vergessen: Imker sollten weder Rasierwasser noch Haargel benutzen, weil der Geruch Bienen anzieht und die sich zum Beispiel in den Haaren verfangen.

»Das Schwierigste für den Anfänger ist die Beurteilung dessen, was man sieht, wenn man den Bienenstock öffnet«, sagt Börger. Doch selbst wenn man alles weiß, weiß man noch längst nicht alles. »Es gibt immer noch offene Fragen, zum Beispiel zur Verständigung der Bienen – und das, obwohl es allein in Deutschland fünf Bienenforschungsinstitute gibt.« Imkern hat einen »hohen Frustrationsfaktor«, sagt Börger, doch er hofft, dass vom derzeitigen Trend ein paar Imker bleiben, die handwerkliches Geschick und Sachverstand mitbringen. Allein sein Verein hat in den vergangenen fünf Jahren 52 Imker ausgebildet, viele davon Frauen. »Das war wohl brachliegendes Potenzial.«

Frauen am Bienenstock waren früher selten. Noch vor 20 Jahren war Imkern eine Beschäftigung für ältere Herren in ländlichen Regionen, mit der man etwas dazuverdiente, oder für Bauern im Ruhestand, die damit einen Beitrag zum Familieneinkommen leisteten. Es war ein Hobby, das einen ehefrauenfreien Rückzugsraum bot und als beruhigend galt, bei dem es nicht um ein Wunder der Natur ging, sondern um eine Wissenschaft, deren Praxis Eingeweihten vorbehalten war. Doch die wurden immer weniger, weil sie starben oder einfach keine Lust mehr hatten.

»Heute lassen die alten Menschen nicht mehr Bienen fliegen, sondern fliegen selbst«, erklärt Marc-Wilhelm Kohfink das Problem. Der einstige Wirtschaftsjournalist ist mittlerweile Imker und schreibt Bücher für alle, die es ebenfalls werden wollen. Weil es den Rentnern heute besser gehe, würden viele auf den Zuverdienst verzichten, erklärt er. Außerdem wurde früher nur wenig um Nachwuchs geworben. Wie es Stephan Börger in Berlin erlebt hat, ging es jahrzehntelang in vielen Imkervereinen zu. Es gab ausschließlich Seminare, bei denen Referate über Fachbegriffe wie Weißelzellen, Vorschwärme und die Warrée-Beute gehalten wurden, ein Vokabular, das wie eine komplizierte Fremdsprache wirkt, aber mit einem einzigen Besuch bei einem Imker zu klären ist.

Doch seit einigen Jahren liegt das Imkern unter jungen, umweltbewussten Städtern im Trend. Allein in Bayern gibt es mehr als 1000 Hobbyimker, die jünger als 30 sind, bundesweit sind es 3000 der 82 000 Imker. Dahinter steckt eine Mischung aus Abenteuerlust und Umweltbewusstsein. »Wenn das Haus gebaut ist und die Kinder aus dem Gröbsten raus sind, suchen die Leute ein Hobby mit Mehrwert«, meint Kohfink. Neben der Aussicht auf Selbstgemachtes gilt es fast schon als eine Art Umweltschutz, Bienen im Hinterhof zu halten. Zudem ist es als Hobby verhältnismäßig einfach und kostet wenig Zeit, viel weniger etwa als ein Hund.

Heute lassen die Rentner nicht mehr Bienen fliegen, sondern fliegen lieber selbst

Etliche Internetseiten zum Thema sind in den vergangenen Monaten entstanden, auch Anleitungsbücher verkaufen sich so gut wie nie zuvor. Zubehör und ganze Völker kann man längst online bestellen, in Hamburg produziert ein Hersteller die besonders einfach zu handhabende Bienenkiste. Der Verein Mellifera betreibt Lobbyarbeit für Bienen, Herta Däubler-Gmelin sitzt einer Stiftung Bienenpflege vor und das Netzwerk Blühende Landschaft druckt Merkblätter zur bienenfreundlichen Bepf lanzung. Die konventionellen Imker sind inzwischen ebenfalls auf die Welle aufgesprungen: Der Deutsche Imkerbund hat das Bee in Contact-Programm ins Leben gerufen, das Jugendliche fürs Imkern begeistern soll. Es ist eine Art Lobby entstanden, in der man sich kennt und in der es Konkurrenzkämpfe gibt, wenn es um Fördergelder geht. Ein Missverständnis ist dabei sehr geläufig: Stadtimkern heißt zwar, dass Bienen nicht nur neben einem Feld leben können, denn tatsächlich ist die botanische Vielfalt heute in Städten oft größer als auf dem Land, wo es häufig nur noch Raps und Maisfelder gibt. Blumen und Bäume, die für die Produktion von Honig geeignet sind, brauchen Bienen aber trotzdem weiterhin. Projekte wie die Bienen auf dem Berliner Dom oder dem Gasteig geben eher Lokalkolorit, sagt Marc-Wilhelm Kohfink. Viele Pflanzen, die heute etwa Verkehrsinseln zieren, bringen den Bienen nichts, weil sie weder Blütenstaub noch Nektar haben. Deshalb stehen auch die Kästen der meisten Stadtimker in großen Gärten oder grünen Hinterhöfen.

Zum Beispiel im Garten von Andreas Pixis. Es ist ein strahlender Frühsommertag und in der bewusst leicht verwilderten Anlage in einem Münchner Vorort summt und sirrt es in der Luft. Auf dem Tisch liegen Brötchen aus einer Ökobäckerei, daneben stehen selbstgemachte Limonade und ein Glas Honig. Drumherum sitzen rund zehn Männer und Frauen zwischen 30 und 50 Jahren. Was ein bisschen aussieht wie eine Selbsthilfegruppe, ist ein Imkerkurs. Eine der Damen imkert bereits und möchte sich weiterbilden, ein Herr hat nur einen Balkon zur Verfügung, eine Teilnehmerin überlegt, von konventionellem Imkern auf Demeterimkern umzustellen, wie es Kursleiter Pixis betreibt. Mit dabei ist Daniel Überall. Der junge Mann könnte auch auf einem Hiphop-Konzert oder einer Konferenz in der Werbeagentur sein. Die Jeans ist weit, er trägt ein Basecap und auf dem Arm seinen kleinen Sohn, der müde in die Runde blinzelt. Daniel Überall hat das Treffen mitorganisiert, denn der 28-Jährige ist derzeit der Mann der Stunde, wenn es um Bienen in München geht.

Auf die Biene ist er bereits vor drei Jahren gekommen. Damals war er bei Freunden im Voralpenland zu Besuch, in deren Garten einige hölzerne Kästen standen. »Und wie wir Städter so sind«, erzählt er, »wollte ich reinschauen.« Als seine Freunde ihm erklärten, dass er die Bienen lieber in Ruhe lassen sollte, schließlich seien das Wildtiere, wurde er noch neugieriger.

Bis dahin wusste Überall nur das, »was wir halt über Bienen aus der Schule wissen: Die stechen, sammeln Honig und führen Tänze auf.« Überall, Mitbegründer der Plattform utopia.de, die für nachhaltigen Lebensstil wirbt, googelte zunächst einmal Imkerei. Er fand heraus: Die Existenz der Biene auf dem Land ist durch Monokulturen bedroht, die Stadt dagegen bietet zum Teil einen idealen Lebensraum und Imkern ist gerade der neue »heiße Scheiß«. Er begann, sich mit dem Thema zu beschäftigen. »Da tat sich ein Kosmos auf«, sagt er und strahlt. »Bienen fliegen das Mehrfache ihres Körpergewichts durch die Gegend.« Bald war klar: »Ich will auch imkern.«

Kurz darauf gründete er die Website stadtimker.de, die er auf Facebook und per Twitter bekannt machte. Er bloggte über Bienen und das Stadtimkern, und bevor er überhaupt einen Schwarm hatte, kamen schon 80 Menschen zu dem ersten von ihm veranstalteten Honigabend im Februar dieses Jahres. Dann riefen die ersten Zeitungen und Radiosender an, und die Bienen wurden endgültig Daniels neues Projekt. Seine Mission: Menschen für die Bienen begeistern und so per Internet das Ökosystem schützen.

Ein Bienenvolk steht in der Innenstadt, auch aus Gründen des Marketings

Dahinter steht für ihn nicht nur eine neue Vorliebe der Städter für Honig – es ist Teil einer anderen Lebensweise: »Die Leute suchen den Ausgleich zur Stadt nicht mehr woanders. Sie versuchen, selber die Stadt lebenswert zu machen. Es gibt einen Trend zur Regionalisierung, wir wollen wieder wissen: Was passiert vor Ort? Außerdem ist es eine Möglichkeit, Bodenhaftung zu bekommen.« Mit dem Imkern angefangen hat er im Mai. Davor stand die Suche nach einem Standplatz. »Sie werden erleben, dass Banausen Ihre Bienen mit Wespen und Spinnen gleichsetzen«, schreibt Marc-Wilhelm Kohfink in einem seiner Bücher. Mit diesem Problem kämpfte auch Überall. Kaum hatte er angefangen zu bloggen, meldeten sich zahlreiche Leute, die ihren Garten oder Hinterhof zur Verfügung stellen wollten. Ging es aber darum, was die Nachbarn dazu sagen würden, machte mehr als ein Anbieter einen Rückzieher.

Zwei der drei Völker von Überall stehen nun in einer Kleingartensiedlung. Die Kleingärtner »sind ganz scharf auf Bienen«, erklärt Überall. »Es gab sogar Diskussionen, in welche Richtung die Kästen stehen sollen, weil die Bienen Richtung Sonnenaufgang ausschwärmen und so manche Gärtner bei der Bestäubung im Vorteil sind.« Sein drittes Volk hat Überall in einem Garten in der Innenstadt platziert, »auch aus marketingstrategischen Überlegungen«, wie er ohne Ironie erklärt: »Wenn man über Stadtimkern spricht, muss man schließlich auch zentral imkern.« Nicht alle Imker in München und Umgebung finden es gut, dass nun ein Unerfahrener der Ansprechpartner in Sachen Bienen ist. »Einige freut es zwar, dass mein Werben für das Stadtimkern ein guter Anlass ist, über Ökologie und die Probleme von Monokulturen zu sprechen«, erklärt er. Doch einige alteingesessene Imker waren skeptisch: »Die dachten wohl: Ich mache das jetzt seit 20 Jahren, und dann kommt der daher. Vermutlich glauben sie, dass ich damit Profit machen will.«

Doch an Grabenkämpfen ist Überall ebenso wenig interessiert wie an ideologischen Diskussionen. Möglichkeiten gäbe es genug: Da gibt es die konventionellen Imker, die ihren Königinnen einen weißen Punkt aufkleben, ihr die Flügel stutzen und die Eingänge der Beute mit Plastikzargen schützen. Demeterimker dagegen hängen zum Teil gar keine Rähmchen in die Kisten, damit die Bienen frei und naturnah Waben bauen können. Überall hat sich für eine Mischvariante entschieden: Er benutzt Holzkisten, was zu Demeter passt, hat aber auch kein Problem damit, eine Plastikfolie quer über die Rähmchen zu legen. »Theoretisch«, sagt er, »könnte man Bienen auch in einem Bierkasten halten.«

An seinem Hobby mag Überall das Gleiche wie Stephan Börger: Imker eint die Liebe zur Stille. »Es hat einen Grund, warum die meisten Imker eher 50 Völker haben als 50 Freunde«, zitiert Daniel Überall eine Bekannte. »Manchmal, wenn ich nach Hause komme und durch mein Wohnzimmer acht schreiende Kinder rennen, von denen ich nur die Hälfte kenne, sage ich: ›Schatz, ich muss noch schnell zu den Bienen‹«, erzählt der junge Vater und lacht. Seinen ersten Honig hat Überall bereits im Juli produziert, »weil ich es nicht mehr ausgehalten habe.« Der Honig hat gut geschmeckt, »sehr würzig war der.« Nun liegt sein erster Sommer hinter ihm, und noch ist nicht alles so glattgelaufen, wie er es gehofft hat. Seine Bienen sind aggressiver als angenommen, vor allem die im zentralen Glockenbachviertel. »Das ist natürlich ärgerlich.« Seit Juli trägt Überall ein Netz über dem Kopf, wenn er sich ihnen nähert. Und er schaut seltener in den Kasten, denn jeder Griff in den Bienenstock ist »eine Operation am offenen Herzen«. Am Anfang habe er sich das schon alles einfacher vorgestellt, erzählt Überall. »Aber Bienen sind eben anders als Kaninchen, die teilen sich nicht mit.« Deshalb rät er auch jedem Anfänger, sich ein ordentliches Buch zu kaufen, es gut durchzulesen und sich das mit den Bienen anschließend noch mal zu überlegen. Doch er ist bereits gespannt auf nächstes Jahr, »wenn ich schon einmal den ganzen Zyklus mitgemacht habe und besser weiß, was zu tun ist.«

Weitermachen will er auf jeden Fall, da ähnelt er der Mehrheit der Imker: Einmal mit Bienen in Kontakt gekommen, begeistern sich die meisten jahrzehntelang für das Hobby. »Im Winter werde ich die Bienen sehr vermissen«, ist er überzeugt. Wie es im nächsten Jahr genau weitergeht, weiß er allerdings noch nicht. »Mal sehen, was übrig bleibt«, sagt er lakonisch. »Wer weiß, wie groß das Interesse dann noch ist.« Wie es weitergehen wird, fragt sich auch der Berliner Imker Stephan Börger. Eine Seifenblase nennt er die derzeitige deutschlandweite Begeisterung für die Biene. Dennoch hofft er, dass etwas vom Trend hängen bleibt, der Natur zuliebe. Er sieht die Zukunft jedoch nicht im Stadtimkern, sondern denkt weiter – langfristig hofft er, dass mehr Menschen auf dem Land Bienen halten. »Dort werden sie wirklich gebraucht.«

Infos für Probeimker:
Stephan Börger / Imkerverein Zehlendorf
Marc-Wilhelm Kohfink
Daniel Überall

Erschienen im Magazin Effilee, Ausgabe 20, im Frühjahr 2012. Die Fotos stammen von Matthias Kestel.

 

Lea Hampel