Text • Süddeutsche Zeitung

„Man gönnt dem anderen keinen Cent“

Wenn sich Menschen scheiden lassen, ist das Haushaltskonto oft das Letzte, was sie verbindet. Geld hat dann eine neue Bedeutung – als Währung für Macht, Gerechtigkeit und Genugtuung

Eine kleine Kapelle, viele Gäste, ein großes Fest. So schön fing alles an für Stefanie S. und ihren Mann. Keine zwölf Monate später stritten sie darüber, wer die Mikrowelle bezahlt hatte. 179 100 Ehen wurden 2012 in Deutschland geschieden. Vermutlich kaum eine ging ohne Gelddebatten zu Ende. „Das Thema Finanzen ist schnell auf dem Tisch“, sagt Erika Woldin, Rechtsanwältin für Familienrecht in München. Meist komme es in der ersten Viertelstunde mit einem Mandanten zur Sprache. Das war nicht immer so. Bis 1977 wurden Ehen nach dem Schuldprinzip geschieden. Doch seit das Zerrüttungsprinzip gilt, heißt die zentrale Frage nicht mehr: Wer war’s? Sondern: Wer bekommt wie viel?

Vier Punkte werden in der Regel abgehandelt: Unterhalt für Partner und Kinder, Aufteilung dessen, was das Paar erwirtschaftet hat, der Ausgleich der Renten und die Vermögensverteilung. Doch so viele Vorgaben es dazu gibt, die Düsseldorfer Tabelle für Kindesunterhalt beispielsweise, so sehr ist andererseits Raum für Geschacher. Vor allem, wenn Kinder und Besitz da sind.

Bei Stefanie S., 37 Jahre, ging es nach ihrer Ankündigung los, sich zu trennen. Das Paar hatte ein Haus gebaut, er hatte mehr Kapital eingebracht, sie war nur zu einem Drittel Eigentümerin. Er verlangte von ihr auszuziehen – und wollte ihre Doppelbelastung aus Miete und Raten mit 300 Euro monatlich mildern. Das Geld kam nie. Stattdessen wartete sie acht Monate in einer neuen Wohnung, ob er das Haus behalten, verkaufen oder versteigern wolle. Acht Monate, die sie sich nur leisten konnte, weil sie Vollzeitärztin war und keine Kinder hatte. Eine Ausnahme vom typischen Ehemodell, das heute noch oft herrscht – und vom typischen Ende.

Denn: Wenn eine Ehe kaputtgeht, brechen oft klassische Geschlechterkonflikte auf. Die Finanzen sind eine Bastion der PräEmanzipation, beobachtet Anwältin Woldin. „Die Männer haben das Geld auf ihren Namen angelegt, die Frauen können nicht darüber verfügen, obwohl ihnen prinzipiell die Hälfte zusteht.“ Kommt es zum Bruch, landen Frauen häufig in der Bittstellerrolle, Männer wiederum sehen sich mit wütenden Forderungen konfrontiert. Die ökonomischen Unterschiede, zuvor zwischen Frühstück und Urlauben irrelevant, führen zu Dialogen wie im Film „Der Rosenkrieg“.

Es sind Wahrnehmungsunterschiede, die den perfekten Nährboden für Streits bieten. Rechtsanwältin Woldin kennt Dutzende Beispiele. Kürzlich hatte sie ein Paar in der Kanzlei, der Mann hatte stets mehr verdient. „Er bot 850 Euro Unterhalt an, wir wollten 1000“, erzählt sie. „Als 925 Euro als Kompromiss im Raum standen, ist er mit seiner Anwältin rausgegangen, sie haben lange gesprochen, dann hat er uns um 25 Euro runtergehandelt. So etwas gibt es oft.“ Besonders heikel wird es, wenn eine Firma aufgebaut oder die Arztpraxis zusammen geführt wurde: Wie viel ist das Unternehmen wert? Wie sehr ist es persönlicher Verdienst?

Auch wenn es nicht um Haus, Auto und Firma geht, wird hart gestritten. „Manchmal geht’s um 4,50 Euro“, sagt Sandra Neumayr, Trennungsberaterin in München. Eine Grenze nach unten gibt es nicht, schließlich geht es ums Prinzip. Stefanie S. kennt das. „Es klingt lächerlich, aber du gönnst dem anderen keinen Cent“, sagt sie. Die Methoden sind über die Jahre härter geworden. Anwältin Woldin schildert einen typischen Ablauf: „Von mir geht ein Schriftsatz an den Mann, der ruft beim Sohn an, der bei der Mutter lebt, und sagt: ,Deine Mutter zockt mich ab, ich muss dir weniger Taschengeld geben‘“, erzählt sie.

Die neue Kampfeslust hat viele Gründe. Die Gesetzeslage ist flexibler als früher, es gilt das Prinzip der Eigenverantwortung: Beide Partner sollen arbeiten, wie viel Geld einer erhält, hängt davon ab, ob er beweisen kann, dass er wegen der Kinder nicht voll arbeiten kann. Die Nachweispflicht

führt dazu, dass im Nachhinein das eigene Leben, die gemeinsamen Entscheidungen hinterfragt werden. Beispielsweise muss eine Frau beweisen, dass sie Medizin studiert hätte, wären die Kinder nicht gekommen. „Man muss unglaublich ins Detail gehen“, sagt Woldin. Das höhere Risiko, aus einer Ehe arm herauszugehen, hat viele verunsichert – und die Kampfbereitschaft gesteigert. Immer weniger Frauen nehmen es hin, nach 20 Ehejahren mit einer Haushälfte abgespeist zu werden.

Ist die Trennung beschlossen, sollte man erst das Emotionale regeln, dann das Finanzielle

Den wenigsten Mandanten geht es nur um den letzten Euro des anderen. Sondern um Gerechtigkeit, Macht und Genugtuung. „Wenn der Partner jemand Neuen hat, interessiert es nicht, ob ich mir alibimäßig jemanden suche“, sagt Trennungsberaterin Neumayr. „Bei den Finanzen kann ich mich für ungerechtes Verlassenwerden rächen.“ Schwelende Konflikte oder Neid auf des anderen Neuanfang brechen sich Bahn in Forderungen nach mehr Unterhalt – oder dessen resoluter Ablehnung. „Der Scheidungsantrag geht häufiger von Frauen aus“, erklärt Rechtsanwältin Woldin. Verweigerten die Männer das Geld, sei das auch eine Form des Bestrafens. Auch Stefanie S. glaubt, ihr Mann habe eine Hinhaltetaktik gefahren: „Der wollte mich bluten lassen.“ Umgekehrt sehen Frauen aus klassischen Ehe-Konstellationen im Geld ihrer Männer Entschädigung für Lebensentwürfe, die zwischen Hochzeit und zweitem Kind verloren gegangen sind. Und für manchen ist das Geld Vorwand, um in Kontakt zu bleiben. „Manchmal ist es leichter zu sagen: ,Wir müssen noch Finanzielles klären‘ als ,Ich liebe dich noch‘“, sagt Trennungsberaterin Neumayr.

Eine zu kurz gedachte Taktik. Denn in den Augen des anderen wird man zum Nervfaktor. „Irgendwann sagt der: Bin ich froh, dass ich den los habe“, so Neumayr. Gleichzeitig hinterlässt der Streit verbrannte Erde. „Irgendwann kommt die Abiturfeier, beide Eltern sollten anwesend sein. Das vergisst man im ersten Racheanfall.“ Beraterin Neumayr rät ihren Klientinnen aus einem weiteren Grund vom Rosenkrieg ab: Das Geld macht selten zufrieden. Die Konflikte kläre man nicht auf dem Konto des anderen. „Wenn die Unterhaltszahlung ausgehandelt ist, merken die meisten erst, dass es um etwas anderes ging. Dann muss man sich wirklich neu orientieren.“ Stefanie S. hat aus diesem Grund für ihren Hausanteil weniger genommen, als möglich gewesen wäre. Sie wollte nicht, dass sich der Einigungsprozess hinzieht. „Ich habe mir alles ausgerechnet und beschlossen, dass mir das mein Seelenfrieden wert ist.“

Um solche Entscheidungen zu vermeiden, raten Experten zum Ehevertrag. Stefanie S. und ihr Mann hatten dafür zwischen Hausbau und Hochzeit keine Zeit. „Wir dachten, das holen wir nach.“ Bevor es so weit kam, waren sie getrennt. Dabei vereinfacht ein Vertrag nicht nur das Finanzielle. Darin kann das Paar auch festlegen, wer Kinder erzieht und beruflich verzichtet. Selbst wenn das Papier später angefochten werden kann: Man setzt sich mit dem Thema auseinander, so lange man sich mag – am besten bei einer Flasche Wein, sagt Neumayr. Sie hat einen weiteren Tipp: Bei der Trennung erst das Emotionale, dann das Finanzielle regeln, sich fragen: Was ist schief gelaufen? Wie schaffen wir die Trennung in Freundschaft? „Ist das geklärt, findet sich meist erstaunlich schnell eine Lösung fürs Geld“, sagt Neumayr. Stefanie S., hat aus ihrem Ehe-Intermezzo fürs Leben gelernt. Sie würde nur mit Vertrag noch einmal vor den Altar treten. „Vorher denkt man immer, man wird sich einig. Aber hinterher ist man es nie.“

 Erschienen in der Süddeutschen Zeitung, Ressort Wirtschaft, Serie “Geld? In jeder Beziehung” am 22. März 2014

Lea Hampel