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Hörner ab!

Sie sind teurer als Heroin und leichter zu erbeuten als Gold: Der illegale Handel mit Nashorn-Hörnern reicht von Nordengland bis Vietnam. Eine Geschichte der Jagd in Zeiten der Globalisierung.

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Es ist verrückt. Wir leben in einer Welt, über deren Zustand die Hörner eines Rhinozeros viel aussagen. «Das ist schon verrückt», meint auch Dr. Wolfgang Gall, Direktor des Museums im Ritterhaus im deutschen Offenburg. Das Haus liegt mitten in der Innenstadt, keine zwei Minuten entfernt von der Fussgängerzone. Teenies flattern zwischen Technik-Stores und Modeläden hin- und her, es gibt T-Shirts für fünf Euro und USB-Sticks im Dreierpack, genäht oder zusammengebaut für einen Hungerlohn, verschifft aus Bangladesh oder China bis in die deutsche Provinz. Es ist die Globalisierung, wie man sie kennt, ein gigantischer Strom von Gütern und Geld. Doch in ihren Strudel geraten längst auch Dinge, von denen es niemand für möglich gehalten hätte.

Wolfgang Gall arbeitet seit 25 Jahren im Museum im Ritterhaus, seit knapp zehn Jahren als Direktor. In seinem Museum kann man alte Reklameschilder sehen und Schmuck aus der Südsee, eine ethnologische Sammlung, insgesamt knapp 10 000 Objekte. Unter ihnen war jahrzehntelang der Kopf eines afrikanischen Nashorns, eine Jagdtrophäe mit einem grossen und einem kleinen Horn. Doch die sind nun nicht mehr da. Sie wurden geklaut, fortgerissen von Dieben, aber eben auch vom grossen Strudel der Globalisierung. «Es ist schon verrückt», sagt darum Wolfgang Gall. «Da kommen Kriminelle aus Irland, um in Deutschland von der Trophäe eines afrikanischen Nashorns das Horn zu klauen und das Ganze nach China oder Vietnam zu verkaufen.» Es ist wirklich verrückt. Aber vielleicht fängt man mit der Geschichte am besten von vorne an.

Haken in der Wand

1926, Tanganjika, Ostafrika – Hermann Cron, Sohn eines Bankdirektors, und seine Frau Gretchen, Tochter einer Hamburger Reederfamilie, sind auf Grosswildjagd. Über die Jahre haben die beiden eine umfangreiche Trophäensammlung zusammengetragen. Auf ausgedehnten Reisen in Afrika schiesst Cron Löwen, Elefanten, Gazellen, Antilopen, Geparden und 1926 auch einige Nashörner. «Genau hier hing das Nashorn», sagt Wolfgang Gall und zeigt auf eine strahlend weisse Wand im dritten Stock des Museums. «Bis vor kurzem konnte man den Schatten der Trophäe sehen, jetzt haben wir gestrichen. Aber es gibt immer noch den Haken in der Wand, an dem der Nashornkopf aufgehängt war.» Ein Stück gekrümmtes Metall zwischen stoisch blickenden Gazellen, Elefanten, Zebras und Wasserbüffeln.

Etwa 25 000 Nashörner leben heute weltweit in freier Natur. Noch. Denn die Zahlen der Wilderungen sind in den letzten Jahren explodiert. 2007 wurden in südafrikanischen Nationalparks gerade einmal 13 Nashörner getötet. 2013 waren es 1004 Tiere. Die Gründe, meinen Experten, liegen in der gestiegenen Nachfrage nach Nashornhorn in Südostasien. Die Hörner gelten dort als Heilmittel, in Vietnam ist gemahlenes Nashornhorn im Drink sogar zum Trendgetränk für die neue Oberschicht geworden, ein Prestigeprodukt, genau wie es die Nashorntrophäe in manchen deutschen Villen war.

Die erhöhte Nachfrage hat einen weltweiten Teufelskreis in Gang gesetzt. Als in Asien der Preis stieg, wurden in Afrika verstärkt Nashörner gewildert. Und als dort die Nashornpopulation sank, rückten auch Hörner von Tieren in den Fokus, die schon lange tot sind.

31. Dezember 2010, Münster, Deutschland – Diebe zertrümmern in der Silvesternacht eine Plexiglasscheibe neben den Eingangstüren zur Ausstellung «Verbotene Geschenke» im Allwetterzoo. Sie hebeln fünf Vitrinen auf und entwenden Stiefel und Taschen aus Reptilienleder, Leopardenfell, Schildpatt, Elfenbein und ein Nashornhorn.

Ab 2011 finden in Europa beinahe im Monatsabstand Überfälle auf Museen statt, in Portugal genauso wie in Frankreich oder England, mehr als sechzig Fälle werden es in den kommenden Jahren. Mitte Juni 2011 schreibt die europäische Fachgruppe Naturwissenschaftliche Museen eine Rund-E-Mail an ihre Mitglieder und mahnt zu Vorsicht. Europol warnt Museen ebenfalls, einige reagieren: Das Naturhistorische Museum Bern beispielsweise ersetzt Hörner durch Holzattrappen.

«Natürlich haben wir auch eine Warnung bekommen», sagt Wolfgang Gall. «Aber unsere Politik war immer, Ausstellungsstücke offen zu zeigen. In einem Archiv wäre unser Nashorn auch nicht sicherer gewesen als im Ausstellungsraum. Dort hing der Kopf vier Meter über dem Boden, die Trophäe ist 80 Kilo schwer, wir haben eine Alarmanlage und die Polizei um die Ecke. Wir dachten, das Nashorn sei hier sicher.»

Museumsversicherungen sind in Europa teuer. Besonders kleine Museen versichern oft nur Leihgaben oder besonders wertvolle Exponate. Wie viel ein Nashornhorn wert ist, ist ohnehin nur schwer zu sagen. Der Handel mit antiken Hörnern ist seit 2010 weltweit verboten, auf dem Schwarzmarkt liegen die Kilopreise aber höher als für Gold oder Heroin.

18. Februar 2012, Strassburg, Frankreich – In einem Baumarkt kaufen drei Männer und eine Frau einen Vorschlaghammer. Über die deutsch-französische Grenze fahren sie nach Offenburg. Im Museum im Ritterhaus lenken die Frau und einer der Männer die Aufsicht ab. Im dritten Stock stei- gen die anderen beiden Männer auf eine Vitrine, heben den Nashornkopf von der Wand, schleifen ihn um die Ecke und schlagen mit dem Hammer die Hörner ab.

«Als der Anruf kam, war ich zu Hause, es war Samstag, und die ganze Stadt war im Fasnachtstaumel», sagt Wolfgang Gall. «Als ich im Museum angekommen bin, war die Polizei schon da.» Neben dem Museum liegt der Narrenkeller, hinter der Holztür gibt es während der Fasnacht oft Veranstaltungen. Die Aufsicht wundert sich darum nicht über Lärm, erst als die vier Besucher fluchtartig das Museum verlassen, wird sie misstrauisch. Später wird die Polizei anhand der Beschreibung der Aufsicht ein Phantombild von drei der vier Diebe machen können.

Muskeln und Bürstenschnitt 

Rainer Lienhard ist ein Mann, wie man sich einen Kriminalpolizisten vorstellt. Er hat muskulöse Arme, seine grauen Haare trägt er im kurzen Bürstenschnitt. «Ich war beim Skifahren, als ich aus dem Fernsehen von dem Fall erfahren habe», erzählt er in der Zentrale der Polizei. «Da wusste ich, das könnte bei uns landen.» Lien- hard arbeitet in der Abteilung Organisierte Kriminalität, er ermittelt gegen Rockerbanden und Drogendealer. Und nun also wegen Nashörnern. «Ich hatte schon von den Diebstählen gehört. Als ich den Fall auf dem Tisch hatte, hatten wir kaum Spuren und nur ein paar Anhaltspunkte, die Täter haben Englisch gesprochen, und man wusste durch die Phantombilder etwa, wie sie aussahen.»

20. Februar 2012, München – Die Polizei hält den Fahrer eines Wagens auf, weil er am Steuer telefoniert hat. Bei der Überprüfung wird klar, dass das Auto in England als gestohlen gemeldet wurde. Die Insassen werden in Auslieferungshaft genommen. Ein Beamter stellt fest, dass einer der Festgenommenen einem Phantom- bild aus Offenburg ähnelt. Im Auto finden die Polizisten zerrissene Eintrittskarten aus Museen – und
den Kaufbeleg für einen Vorschlaghammer aus Strassburg. Als Lienhard, mittlerweile «Einsatzgruppenleiter Nashorn», den Anruf von den Kollegen bekommt, fährt er nach Bayern. «Einer der Männer hat gefragt, was es für Möglichkeiten gibt, wenn er mit uns kooperiert. Er war der Erste, der Angaben gemacht hat, zu der Tat in Offenburg und auch zu anderen Taten.» Mit seiner Hilfe können auch die anderen drei Täter überführt werden. Das Landgericht Offenburg verurteilt wenige Monate später zwei der Diebe zu drei und zweieinhalb Jahren Haft ohne Bewährung. Ein weiterer Täter wird zu einer Jugendstrafe verurteilt, die einzige Frau der Bande zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren.

Für die deutsche Polizei könnte der Fall damit erledigt sein. Das Problem ist nur: Das Horn bleibt verschwunden. Die Täter hatten es in einem Lager in Strassburg zurückgelassen. Als die Polizei dort ankommt, ist es jedoch weg. Die Vermutung von Europol: Hinter den Diebstählen steckt organisierte Kriminalität. Die Hinweise auf die Drahtzieher sind aber nur spärlich: SMS, ein paar Telefon- anrufe. Doch immer wieder taucht ein Name auf: Rathkeale.

König der Traveller

18. Januar 2010, Shannon Airport, Irland – Der Zoll nimmt zwei Männer fest, die aus Portugal einreisen.
Im Gepäck haben sie acht Nashornhörner. Die Männer stammen beide aus Rathkeale, einem kleinen Ort im County Limerick, Irland. Wenige Monate später werden in Wien aus einem Museum und einem Antiquitätenladen Nashornhörner gestohlen. 2013 wird der Täter festgenommen: Er stammt aus Rathkeale. Und im November 2010 versuchen zwei Män- ner von einem verdeckten Ermittler Nashornhorn zu kaufen. Es sind Richard O’Brien und Michael Hegarty, der Sohn und der Schwiegersohn von Richard Kerry O’Brien, bekannt als der «König der Traveller von Rathkeale».

Rathkeale ist ein Dorf mit 1500 Ein- wohnern und einer Handvoll Pubs. Der Ort liegt in einer Idylle aus grünen Wiesen an einem Fluss. Doch viele Läden an der Hauptstrasse sind leer. Biegt man von der Hauptstrasse ab, sieht man das gleiche Bild: Häuser mit nagelneuen Fassaden und vergitterten Fenstern. Vor einzelnen Villen ste- hen Wohnwagen. Immer wieder kurven die gleichen SUV durch die Strassen. Ein Mann beugt sich aus einem Kleintransporter: «Was wollen Sie hier?», bei der zweiten Begegnung sagt er: «Ich weiss, was Sie machen.» Ein leichter Wind weht Stofffetzen über die Strasse, schwarze Vögel kreisen am Himmel.

Seit zwei Jahrzehnten steigt der Anteil der sogenannten Traveller in der Bevölkerung Rathkeales, mittler- weile liegt er bei 80 Prozent. Die streng katholische Gemeinschaft lebt seit Jahrhunderten am Rande der Gesellschaft. Früher zogen sie als Wanderarbeiter umher, heute sind sie als Dienstleister oder Antiquitätenhändler unterwegs, nicht mehr nur in Irland oder England, sondern in ganz Europa, Asien und Australien. Aus dem fahrenden Volk aus Irland sind global agierende Weltbürger geworden. Doch immer wieder gab es in den letzten Jahren Fälle, bei denen Travel- ler gefälschte Artikel verkauft haben oder Hausbesitzer beim Teeren von Einfahrten über den Tisch zogen. Eine Gruppe von Männern aus Rathkeale tauchte dabei so oft auf, dass sie einen 28. September 2014 Namen bekam: die «Rathkeale Rovers». 2010 beginnt Europol die «Operation Oakleaf», eine europaweit vernetzte Ermittlung gegen die Gruppe wegen der Nashorndiebstähle, immer mehr häufen sich die Hinweise auf die Rathkeale Rovers – doch was fehlt, sind Beweise.

10. September 2013, Rathkeale, Irland–Um 4 Uhr 45 in der Früh durchsuchen Polizisten Wohnräume und Wohnwagen. Weitere Schau- plätze der internationalen Polizeiak- tion sind Dörfer und Campingplätze in Irland und England. Auf Fotos, die später im Internet und in der Presse kursieren, kann man Polizisten mit Sturmmasken, Helmen und martialischer Schutzkleidung sehen, die mit Rammböcken Türen aufbrechen. Bei der Aktion wird auch Richard Kerry O’Briens Haus durchsucht.

«King of the travellers»: Richard Kerry O’Brien macht sich lustig über den Titel, den man ihm gegeben hat. Aber begegnen ihm Dorfbewohner auf der Strasse, nicken sie respektvoll. O’Briens Villa liegt auf dem höchsten Hügel des Dorfes, ein Gebäude aus rotem Ziegelstein, mit Blumentöpfen und mit einem Mercedes SLK Cabrio davor. Das Haus liegt an einer Privatstrasse, sie führt den Hügel entlang, zu über einem Dutzend weiterer Häuser. Alle hat O’Brien erst in den letzten Jahren bauen lassen und an andere Traveller vermietet. Möglich wurde das, weil er gut mit dem Verkauf von Öfen verdient hat, sagt er. Heute handele er vor allem mit Möbeln, in Osteuropa und Asien. «Ich kaufe günstig und verkaufe teuer. Das hier habe ich alles mit meinen eigenen Händen erarbeitet.»

Richard Kerry O’Brien hebt vorsichtig den Supermarkt-Kuchen aus der Folie, kocht Tee und erzählt stolz, dass er abgenommen hat. Es ist sein einziges Lächeln heute, die letzten Jahre waren anstrengend. Spätestens seit Fotos von Polizisten vor seinem Haus die Zeitungen im ganzen Land zierten, gilt er in den Medien und bei der Polizei als der Drahtzieher hinter den Nashorn-Diebstählen. Ein irischer Journalist hat ihm sogar ein eigenes Buchkapitel gewidmet. Viele der verhafteten Täter sind mit ihm verwandt, einer war sein eigener Sohn. Und nicht zuletzt: Er hat Geld, viel Geld.

Aber O’Brien sagt: «Ich hatte nie etwas mit Nashornhörnern zu tun.» Es ist sein zweiter Satz nach der Begrüssung. Dass sein Sohn mit Hörnern erwischt wurde: «Er ist ein erwachsener Mann. Ich habe keinen Einfluss auf seine Handlungen.» Dass es in Rathkeale so viele teure Autos und Häuser gibt: «Wir sind nun mal erfolgreiche Händler, das macht andere neidisch.» Dass er mit vielen der Täter verwandt ist: «So ist das bei den Travellern.»

17 Männer und 2 Frauen werden bei der Durchsuchung im September 2013 festgenommen, bald aber wieder frei- gelassen. Geld und asiatische Antiquitäten werden beschlagnahmt, Nas- hornhörner wurden aber nicht gefunden. Die Vorwürfe gegen ihn und die Traveller, meint O’Brien, seien falsch. «Ich will gar nicht leugnen, dass manche von uns nicht immer dem Gesetz folgen. Aber ich bin ein ehrlicher Handelsmann. Ich habe in meinem ganzen Leben nicht einmal einen Strafzettel für Falschparken bekommen.» O’Brien ist so entsetzt über die Vorwürfe, dass er ein Blog aufgesetzt hat, auf dem er sich und die Traveller verteidigt: «In diesem Land hat man kein Rechte, wenn man ein Traveller ist.» Doch das hilft nicht, denn ob die Geschichte stimmt oder nicht, macht ohnehin kaum noch einen Unterschied. Seine Villa ist leer. «Meine Frau ist zu meinem Sohn nach England gereist, sie hat Angst vor der nächsten Polizei- aktion», sagt er. Denn das Dorf Rathkeale und O’Briens Geschäfte leiden schwer unter den Gerüchten. Denn so leicht, wie gestohlene Nas- hörner von Offenburg nach Hanoi transportiert werden können, landen auch Kriminalgeschichten aus Dublin oder Genf bei O’Briens Geschäftspartnern. Man könnte auch sagen: Es sind die Übel einer globalisierten Welt.

Fingerabdrücke auf der Vitrine

Juni 2014, Genf, Schweiz – Ein irischer Traveller wird aus der Untersuchungshaft entlassen, in der er für mutmass- lichen Nashorndiebstahl gelandet war. Dass sein Bruder wegen Nashornschmuggel in den USA in Haft sitzt, kann ihm ebenso angelastet werden wie die Tatsache, dass seine Fingerabdrücke auf der Vitrine eines Muse- ums nachgewiesen wurden. Vor dem Dilemma der Schweizer Richter steht auch der deutsche Kriminalbeamte Lienhard immer öfter, je länger er in Sachen Nashorn ermittelt. Alle Spuren führen nach Rathkeale. Doch nicht einmal direkte Aussagen helfen weiter. «Der Täter hat zwar Informationen zu den Hintermännern gegeben. Aber nichts hat ausgereicht, um sie zu identifizieren.»

Für Museumsdirektoren wie Gall macht es längst keinen Unterschied mehr, wer die Hörner geklaut hat: «All das hilft uns nicht, das Horn ist nicht ersetzbar, wir können kein neues kaufen.» Wenige Monate nach dem Diebstahl haben seine Mitarbeiter eine Ausstellung zusammengestellt: «Horn_los». Aus ganz Deutschland und der Schweiz kamen Menschen, um sie zu sehen, die meisten, wegen eines Ausstellungsstücks: des Nashorns. Ohne Horn. Wie gesagt: Es ist alles ganz schön verrückt.

 

Verfasst gemeinsam mit Christoph Gurk, erschienen in der NZZ am Sonntag vom 28. September 2014. Das Foto ist ein Screenshot der Artikelaufmachung.

Lea Hampel