Text • Tagesspiegel

Finanziell sehen sie alt aus

Eine Berliner Seniorengruppe protestiert gegen Banken – und organisiert sich erfolgreich online.

Angelika Theilers Stimme ist nicht besonders laut, aber sehr bestimmt, als sie vor den mehr als 50 Menschen mit grauen Haaren, Lesebrillen und beigen Hosen im Caritas Café in Steglitz steht und sagt: „Ich bin traurig. Wir sind zu brav. Viel zu brav.“ Allgemeines Nicken, betretene Blicke auf die Wasserflaschen, die vor den Damen und Herren zwischen 55 und 85 Jahren auf den Tischen stehen. Sie schauen kaum auf zu der resoluten, fast 50-jährigen Frau mit den hellen, strengen Augen und dem großen Aktenordner vor sich auf dem Tisch, denn sie wissen: Angelika Theiler hat Recht.

Wieder einmal sind sie zu brav gewesen. Zu leise haben sie bei der Demonstration den Schlachtruf „Das Geld ist weg, der Kunde krank, dank Citi- und Beraterbank“ gerufen. Zu schnell haben sie sich von Polizisten einschüchtern lassen, die ihnen das Megafon verboten. Dabei wollten sie genau damit aufhören, denn Bravsein und Vertrauen haben sie hierher, in die Tübinger Straße in Steglitz, geführt. Hier findet jeden zweiten Donnerstag der im Dezember 2008 gegründete „Stammtisch der Lehman-Geschädigten“ statt. Geschädigte wurden die mittlerweile über 120 Stammtischteilnehmer, weil sie an den Anstand anderer, in diesem Fall an den ihrer Bankberater, glaubten. Zwischen 5000 und 140 000 Euro verloren sie, als Lehman Brothers im September vergangenen Jahres zusammenbrach. Mit dem Geld, das sie bei ihren Hausbanken Citibank, Dresdner Bank und Sparkasse angelegt hatten, wollten sie ihre Altersvorsorge sichern, wie Angelika Theiler, deren verstorbener Mann 12 000 Euro für sie angelegt hatte. Oder sie wollten sicherstellen, dass sie im Altersheim in ein Einzelzimmer kommen, wie eine andere Frau, die 72 Jahre alt ist und 20 000 Euro verlor.

Reinhard Geisler, ein Mann von 64 Jahren mit weißen Haaren und einer ordentlichen Portion Schalk in den Augen, hat 12 000 Euro verloren, mit denen er seine Rente aufbessern wollte. Dass er dabei in Zertifikate investierte, die ein extrem hohes Risiko haben, war ihm und den meisten Anwesenden nicht bewusst. Einige der Papiere wurden per Telefon vom Bankberater empfohlen, andere als „sicher“ dargestellt, erzählen die Rentner. Eine Frau erzählt, dass ihrer 89-jährigen Mutter per Telefon Zertifikate verkauft wurden. „Die dachten, wir sind alt und blöd“, sagt Geisler, „und irgendwie hatten sie recht damit.“

Alt – vielleicht. Manche der Leute, die hier im Café zwischen Topfpalmen sitzen, hören schwer. Aber dass sie hin und wieder laut werden, wenn sie über Anwaltskompetenzen, Ombudsverfahren und Emittentenrisiko diskutieren, liegt nicht daran, dass sie blöd wären. Sondern daran, dass sie zu der Generation gehören, für die ihr Bankberater eine Vertrauensperson war. „Gleich nach dem Pfarrer und dem Apotheker“, sagt Reinhard Geisler zynisch. Diese Zeiten sind jetzt vorbei. Denn die Menschen, zwischen denen Reinhard Geisler seine Geschichte erzählt, haben noch die Schilder der eben beendeten Demonstration an ihren Stühlen lehnen. Und wenn er sagt: „Ich bin betrogen worden“, klopfen sie johlend auf den Tisch mit ihren alten, faltigen Händen. Sie sind wütend. Nicht nur, weil ihr Geld weg ist. Sondern auch, weil sie oft nur auf Nachfragen von ihrer Bank informiert wurden, dass ihr Konto leider leer sei.

„Ich wollte nie so ein verbittertes altes Weib werden“, sagt die Dame, die im Altersheim nun ins Mehrbettzimmer muss. Aber in Anbetracht ihrer Ohnmacht sei das manchmal gar nicht so leicht gewesen. Seit einigen Wochen ist auch sie eine derer, die sich wehren. Jedes Mal kommen mehr Menschen zum Stammtisch, Treffen dieser Art gibt es mittlerweile auch in Heidelberg, Freiburg, Bremen, Hannover, Duisburg und Rosenheim. Wie viele Rentner wirklich betroffen sind, ist unklar; die Angaben schwanken zwischen 30 000 und 50 000, eine gemeinsame Zahl aller deutschen Banken gibt es nicht. Klar ist aber: die, die protestieren, werden mehr. Im Juni fand in Berlin eine Demo mit mehr als 200 Teilnehmern aus ganz Deutschland statt. Alt und blöd? Angelika Theiler, Mitorganisator Bela Paradi, Reinhard Geisler und hunderte andere Rentner sind angetreten, das Gegenteil zu beweisen. Nicken und Jasagen, das war gestern. Heute ist Demonstrieren angesagt.

Jede Woche stehen die Rentner vor einer anderen Berliner Bankfiliale, in der ein Stammtischmitglied Geld verloren hat. Mal zu zehnt, mal zu vierzigst skandieren sie ihre Sprüche. Ausgestattet mit Trillerpfeifen und Plakaten, alle schwarz angezogen, protestieren sie gegen falsche Beratung, gegen die Ignoranz der Unternehmen und für eine Entschädigung. Wenn die Demonstrationen wie vor einigen Wochen in Lichterfelde Ost nicht angemeldet waren oder eine verzweifelte Filialleiterin verhindern will, dass die Demonstranten vorbeigehende Bankkunden ansprechen, bekommen sie es schon mal mit der Polizei zu tun.

Ginge es nach Reinhard Geisler, ließe man sich davon nicht stoppen. „Ich kann stehen, wo ich will, und sagen, was ich denke. In Deutschland gibt es Meinungsfreiheit“, erklärt er und schaut kampfeslustig. Auch Angelika Theiler ist für mehr Mut. „Die Studenten machen Sitzblockaden, symbolische Banküberfälle und Fahrraddemos. Natürlich kriegen die mehr Aufmerksamkeit als ein paar meckernde Alte“, sagt sie selbstironisch. Davon könne man noch lernen. Zumindest in Sachen Technik stehen die protestierenden Rentner den Studenten in nichts nach: eine eigene Internetseite gibt es bereits seit vergangenem Herbst, die kommenden Treffen werden im Onlineforum vereinbart, und einheitliche T-Shirts mit Slogan sind im Druck. Infos zu aktuellen Gerichtsurteilen besorgen sie sich über Google Alert, Demonstrationsvideos werden auf Youtube gestellt, und auf der Internetseite gibt es eine Übersichtskarte über Aktionen, die mit Google Maps erstellt wurde. Nur etwa zehn Prozent der Rentner haben keinen Internetzugang, die meisten davon wollen aber bald einen Computerkurs oder Ähnliches machen.

Protest funktioniert heute virtuell, das haben die Rentner längst begriffen. „Als ich jung war, haben wir noch Telefonrundrufe gemacht“, erzählt Geisler. Die neuen Protestformen haben in vieler Hinsicht praktische Aspekte, denn „für Sitzblockaden sind wir leider zu alt, da kommen wir gar nicht mehr hoch“, witzelt eine der Damen bei einer Demonstration, eine andere stößt ihr empört in die Seite, schmunzelt aber auch. Ob die moderne Technik und die steigende Zahl der Protestierenden wirklich dazu führen, dass eines Tages alle ihr Geld zurückbekommen, bezweifeln viele. Und doch geht es vorwärts, erste Banken räumten Beratungsfehler ein, regelmäßig ergehen Urteile zugunsten Lehman-Geschädigter, es gab bereits eine Diskussionsveranstaltung der Grünen im Bundestag, eine bundesweite „Kontaktstelle für Lehman-Geschädigte“ wurde eingerichtet, und ein Gesetzentwurf zur Verlängerung der Verjährungsfrist der Bundesregierung hat sich durchgesetzt. „Wir hören nicht auf, bevor wir unser Geld zurück haben“, sagt Angelika Theiler. „Eine andere Lösung gibt es nicht, solange wir noch Hoffnung haben und Energie.“ Und etwas Mut. Aber an dem arbeiten die Herrschaften ja gerade.

Erschienen im Tagesspiegel, Ressort Lokales, Ausgabe 20326, am 21.07.2009.

 

Lea Hampel