Text • Effilee

Fett macht froh

Seit Jahrzehnten gehört es zu München wie die Frauenkirche: Das Café Frischhut, oder, wie der Münchner sagt, die Schmalznudel. Das Geheimnis dahinter hat viel mit Familiensinn zu tun – und dem richtigen Riecher für Fett.

“Versuchungen sollte man nachgeben. Wer weiß, ob sie wiederkommen” steht auf einer Tafel an der Wand. Dass Andreas Frischhut dem Spruch von Oscar Wilde folgt und, wie er behauptet, jeden Tag eine Schmalznudel oder Rohrnudel, einen Striezel oder Krapfen isst, ist schwer vorstellbar. Frischhut ist groß und schlank, mit athletischen Schritten tritt er in das kleine Haus am Rand des Viktualienmarktes. In den zwei Stockwerken mit Tischen aus hellem Holz sitzen Damen beim Kaffee, ein Paar teilt sich eine Zwetschgennudel. Vor dem Schaufenster stehen Touristen und filmen das Gebäck in der Auslage, an der Backstelle warten Teigkugeln darauf, zu Köstlichkeiten gebacken zu werden.

Es ist das Café Frischhut, ein Familienbetrieb, der seit bald dreißig Jahren zu München gehört wie das Hofbräuhaus. Chef dieser Heimstatt bayerischen Lebens und Lebenlassens ist Andreas Frischhut geworden, weil er einen Roller wollte, wie er beim Espresso verrät. Mit diesem Wunsch kam er mit 15 Jahren zum Vater, der das Geschäft seit 1983 führte. »Dafür musst du was tun«, war die Antwort. Es folgten harte Samstage: Beginn um drei Uhr, den ganzen Tag Geschirr spülen im Lärm und Zigarettenrauch. Frischhut war in der Pubertät, »entsprechend schwer fiel das Aufstehen. Immer wieder saß ich auf der Treppe und habe gewartet, dass mein Kreislauf auf Trab kommt«.

Zum ersten Mal backen darf Frischhut mit 17 Jahren. Eine Auszeichnung – im Café brauchen neue Bäcker ein halbes Jahr, bis die Schmalznudel ist, wie sie sein soll. »Heiß, frisch und von uns«, erklärt Frischhut das perfekte Gebäck. Er grinst schelmisch. Eigentlich ist er bescheiden, doch in diesem Fall kann er sich Selbstbewusstsein leisten: Das Caféist so bekannt für seine Schmalznudeln, dass es unter Münchnern nur Die Schmalznudel heißt.

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Auszogne oder Kniekiachla nennen Eingeweihte das Traditionsgebäck mit dem weichen Rand, dem dünnen Fenster in der Mitte und Zucker darauf. Einst zogen die Damen den Teig übers Knie. Heute entsteht im Café kein Küchlein mehr über dem Knie – das dauert zu lange –, aber das Ergebnis schmeckt wie von Großmutter. Woran liegt das? »Auge drauf«, sagt Andreas Frischhut, »und wenige, aber qualitativ hochwertige Zutaten.« Der Hefeteig sei wetterfühlig, »ein lebendes Objekt«, wie er liebevoll erklärt. Je nach Wetterlage muss der Teig bis zu vierzig Minuten ziehen und anschließend fünf bis sechs Minuten in heißem Fett baden. Wie viele goldige Fettigkeiten täglich über die Theke gehen, verrät Frischhut nicht. Immerhin zwölf Angestellte sorgen dafür, dass an Samstagvormittagen fast minütlich Tüten mit warmem Gebäck den Besitzer wechseln.

Noch immer nehmen Verkäufer des Viktualienmarktes nach dem Standaufbau morgens hier ihren ersten Kaffee ein. Anschließend kommen Kunden aus umliegenden Büros und Touristen. Etwa zwanzig Stammtische treffen sich jede Woche, lernen Englisch, machen Musik. Andreas Frischhut mag die Mischung. »Die brauchen schließlich auch einen Ort. Manche Gäste kommen täglich«, erzählt er und deutet auf ein älteres Paar, das auf die braune Holzfront des Ladens mit dem altmodischen Schriftzug zuschreitet. Er winkt kurz, viele Kunden kennt er beim Vornamen. »Wir sind ein Anlaufpunkt. Selbst wer allein kommt, sitzt selten lang stumm da.« Dass einer aus der Familie, er, seine Mutter oder sein Vater, immer im Laden ist, sei wichtig. »Klar, das Produkt ist gut, aber den Unterschied macht die Familie.« Auch wenn die Frischhuts am Sonntag beieinandersitzen, geht es höchstens zehn Minuten um anderes. »… und dann ums Geschäft, und das ist okay.«

Schon während er BWL studiert, macht Andreas Frischhut drei Tage die Woche Buchhaltung im Laden. »Das ist Familienregel«, meint er, »gute Ausbildung, dann ranlassen, Fehler machen lassen«, erklärt Frischhut. Obwohl ihm ein Stipendium in Washington angeboten wird, entscheidet er sich für das Haus am Viktualienmarkt, in dem er fünfzig Stunden die Woche verbringt. »Wenn ich schau, was andere aus meinem Studium machen und wie viel ich bewegen kann: Mir geht’s gut.«

So gut, dass das Café weder Werbung noch Internetseite hat. »Wer will, findet uns«, sagt Andreas Frischhut. »Wir sind gut damit gefahren, nicht von uns zu behaupten, dass wir die Besten sind. Wenn andere das sagen, gefällt es uns«, sagt er und grinst. Auch weil er weiß, dass dem Unternehmen nicht mal der Schlankheitswahn etwas anhaben kann. Selten merke man, wenn die Zeitungen im Frühling Diät-Tipps auf Seite eins hätten – und Salatbars, die an allen Ecken aufmachen, sorgen ihn nicht: »Das hier ist eine Genusssache.« Mit der Zeit sind die Frischhuts durchaus gegangen. Seit 1995 sperren sie erst um sieben Uhr auf, weil der Markt später aufmacht. Das war »eine heilige Kuh«, wie es Andreas Frischhut ausdrückt, »schließlich waren wir ›die, die um fünf aufsperren‹. Und manche stehen nach all den Jahren immer noch um fünf davor«. Aber zu viel darf man auch nicht ändern, besser sind »dezente Veränderungen, die der Gast kaum merkt«. Denn wer ins Café Frischhut geht, kauft nicht nur Fettgebackenes, sondern immer auch ein bisschen Tradition.

Auch Frischhuts Sohn hat schon mitgearbeitet. Er freut sich, wenn Ferien sind. »Die Zwetschgen in die Rohrnudeln drücken«, erzählt der Vater, »das kann er.« Bis zur ersten Schmalznudel dauert es noch ein bisschen. Schließlich ist er erst acht Jahre alt.

Erschienen im Magazin Effilee, Ausgabe 22, Herbst 2012 – mit Fotos von Matthias Kestel.

Lea Hampel