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Erst aufsteigen, dann aussteigen

 Unternehmensberatungen sind oft nur ein Sprungbrett: Zum Beispiel für eine eigene Firma. Drei Gründer erzählen 

Vermitteln von Experten

Ein Headhunter sprach mich an während meiner Mathematik-Promotion, und das kam mir gerade recht: Mir war schon länger klar, dass ich nicht in dem Fachbereich bleiben will – ich wollte eher viele Unternehmen von innen kennenlernen. Über den Headhunter bin ich mit Anfang 30 bei einer kleinen Beratung eingestiegen. Vier Jahre habe ich hauptsächlich Energieversorger beraten. Das war eine abwechslungsreiche Arbeit, mal war ich ein paar Wochen, mal monatelang in einem Unternehmen tätig, habe oft mit mehreren Abteilungen zu tun gehabt und gelernt, mir Informationen zu unterschiedlichsten Themenbereichen zu verschaffen.

Doch den Alltag als Berater darf man nicht unterschätzen. Ich hatte zwar keine 70-StundenArbeitswoche, bin aber jeden Montag um 6.30 Uhr in eine andere Stadt geflogen. Wenn ich Glück hatte, kam ich Donnerstagabend zurück. Wenn es unter der Woche Ärger mit einem Projekt gab, konnte ich nicht einfach Freunde treffen, um nach Feierabend beim Bier drüber zu sprechen. Irgendwann haben die Nachteile die Vorteile überwogen. Innerhalb des Unternehmens zu wechseln oder zu einer anderen Beratung zu gehen erschien mir nicht als Lösung, zumal ich schon länger überlegt hatte, ein Unternehmen zu gründen.

Heute betreibe ich mit meinem Bruder das Expertennetzwerk ExploreB2B, wo ich unterschiedliche Unternehmen zusammenbringe. Dass ich selbst einmal Unternehmen beraten habe, hilft mir. Meine Arbeit als Beraterin war aber oft theoretisch, dort habe ich das Ergebnis fast nie mitbekommen, weil ich längst in einer anderen Stadt bei einem anderen Kunden war. Jetzt stehe ich für alles gerade und erlebe die Umsetzung selbst. Es gefällt mir besser, an einer Sache dranzubleiben und Dinge zu Ende zu bringen. Als Chefin habe ich zwar viel Verantwortung, bin aber auch weniger fremdgesteuert. Außerdem muss ich das Ganze betrachten – als Berater konnte ich Scheuklappen aufsetzen und mich mit einem Bereich befassen. Auch der Alltag ist schöner: Ich sehe meine Freunde öfter, treffe Gründerkollegen, mein Sozialleben ist breiter und langfristiger.

Eine Rückkehr in die Unternehmensberatung kann ich mir nicht vorstellen. Dennoch möchte ich die Zeit nicht missen. Ich habe mehr gelernt, als in einem normalen Job möglich gewesen wäre.

Susanna Gebauer, 41 Jahre, machte sich mit ExploreB2B, einer Onlineplattform für Experten, in Berlin selbstständig

Kommunizieren helfen

Drei Jahre bei Roland Berger, damit fing es an, es war eine harte und gute Schule. Anschließend war ich acht Jahre bei der Beratung Accenture: Als ich zwischen 30 und 40 Jahre alt war, habe ich von Montag bis Freitag durchgearbeitet, meist auch am Wochenende, bis zu 13 Stunden am Tag – ich hatte wenig Privatleben, bin aber viel herumgekommen, und die Bestätigung sowie der Lebensstil in dieser kleinen Scheinwelt haben mir Spaß gemacht. Alle ein bis zwei Jahre habe ich überprüft: Passt das noch? Gibt es eine Entwicklung? Aber alles ging schnell voran, und lange Zeit war die Karotte, der Anreiz fürs nächste Jahr, groß genug. An einem bestimmten Punkt habe ich mich gefragt, was noch kommen kann, und festgestellt: Es muss noch andere Dinge geben, an die man sich später erinnern kann. Außerdem wollte ich aus familiären Gründen weniger unterwegs sein.

Allmählich war aus meiner Arbeit meine Geschäftsidee entstanden: Als Berater lernt man, Themen zu strukturieren, mithilfe vieler PowerPoint-Folien zu kommunizieren, mit Menschen auf allen Hierarchieebenen umzugehen, und hat Verantwortung. Zwei bis drei Jahre habe ich gezögert auszusteigen. Letztlich kamen dann lauter schöne Zufälle zusammen, und ich habe mit meinem Schulfreund vor fünf Jahren unsere Firma steercom gegründet. Natürlich ist jetzt nicht mehr automatisch das Geld auf dem Konto wie früher, und wirtschaftliche Tiefs merkt man eher. Ich arbeite auch nach wie vor viel, habe Angestellte. Aber ich bin nur noch zwei bis drei Tage die Woche unterwegs und kann Montagmorgen um acht mit meiner Familie frühstücken, statt um fünf den Flieger zu nehmen. Ich genieße es, in München Tram zu fahren, statt Zehntausende Bonusmeilen im Jahr zu sammeln. Es ist eben eine ganz andere Selbstbestimmung im Alltag. Und ich bin stärker und noch ehrlicher motiviert, ich will mir beweisen, dass das, was wir hier machen, funktioniert und ich Dinge vorantreiben kann.

Die Unternehmensberatung habe ich nie als Lebensjob gesehen, aber auch nicht als bloßes Sprungbrett für die eigene Firma. Letztendlich hat sich das, was ich mir davon erhofft hatte, bewahrheitet: Ich treffe weiterhin Topentscheider großer Firmen, an die wir weltweit unsere Software und Trainings verkaufen.

Wolfgang Hackenberg, 46 Jahre, gründete nach elf Jahren als Unternehmensberater den Kommunikationsdienstleister steercom in Hamburg

 

Kaufen nach Rezepten

Am Anfang war da die Neugier. Alle reden über Berater – ich wollte wissen, was die tun, und habe ein Praktikum bei McKinsey gemacht. Es folgte das Angebot, nach meinem BWL-Studium anzufangen. In dem Umfeld habe ich mich gleich wohlgefühlt: Man kann sich schließlich in der Welt aus Business Class, Hotels und steigendem Gehalt gut einrichten. Aber das ist auch die Gefahr: Gerade weil man viel arbeitet, hat man keine Zeit, seine Präferenzen zu überdenken.

Nach zweieinhalb Jahren habe ich einen »Leave« gemacht. Diese Unterbrechung legen Unternehmensberater oft ein, um zu promovieren. Das war auch mein Plan – doch schon davor hatte ich die Idee für das Kochhaus, dem nach Rezepten sortierten Lebensmittelgeschäft. Durch die Pause war Zeit, das ernsthaft zu erwägen. Als ich eine Location entdeckt habe, alles konkreter und die Resonanz immer besser wurde, entschied ich mich, mein Anstellungsverhältnis zu beenden und als Gründer durchzustarten.

Der Neustart war nicht schwer. Als Berater ist man mit Konzepten beschäftigt, versucht Probleme zu verstehen und entwickelt Strategien. Als Gründer macht man anfangs alles selbst. Ich muss niemanden anrufen, um Entscheidungen zu treffen, und arbeite stärker umsetzungsorientiert. Ich suche Rezepte aus, habe Kundenkontakte, stelle Mitarbeiter ein. Ist mir etwas wichtig, wird es in drei Wochen Realität. Auch die Teamarbeit ist toll. Früher ging es alle drei bis sechs Monate von vorne los. Heute habe ich ein Team auf Dauer. Wir entwickeln uns gemeinsam. Zwar sind meine Arbeitszeiten kaum anders als früher. Aber ich bin in sechs von sieben Nächten zu Hause. Das steigert die Lebensqualität.

Aus meiner Beraterzeit nehme ich dennoch einiges mit: Einen überzeugenden Businessplan für mein eigenes Unternehmen konnte ich nur schreiben, weil ich gelernt habe, eine Idee auszuformulieren und Schwierigkeiten zu bedenken. Die Gefahr, wenn man zu lange Berater war, könnte sein, dass man Dinge schnell erfasst, aber die Bereitschaft für eine andere Perspektive fehlt. Ich hoffe, das ist bei mir nicht so.

Ramin Goo, 32 Jahre, gründete die Lebensmittelkette »Kochhaus«, in der Produkte nach Rezepten sortiert sind

 

Erschienen in der ZEIT, Ressort Chancen, Ausgabe 14 / 17. März 2013.

 

Lea Hampel