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Die Kriegerin

Der Vater ein Neonazi, der Alltag streng völkisch-national ausgerichtet: Die ehemalige Rechtsradikale Heidi schaffte dennoch den Ausstieg aus der Szene – und kämpft bis heute für ihre zweite Chance auf Glück.

Mittlerweile flüstert sie nur noch, was sie früher grölte. „Heil Hitler“, sagt Heidi leise, und fährt in normaler Lautstärke fort: „Das zu rufen war bei Konzertabenden normal.“ Die junge Frau – 20 Jahre, schlank, lange blonde Haare – sitzt in einem Münchner Café, trinkt Spezi und erzählt aus ihrem Leben. Bis vor Kurzem hat sie das unter Neonazis verbracht. Heidi, die eigentlich Heidrun heißt, wächst in einer rechtsradikalen Familie in einem Dorf westlich von München auf. Ihr altdeutscher Geburtsname kommt nicht von ungefähr: Der Vater ist ein bekannter Kopf der nationalen Szene und betreibt ein Feriendorf in Sachsen, in dem die NPD Feste abhält. Er achtet darauf, dass der gesamte Alltag seiner Familie deutsch ausgerichtet ist: Anglizismen sind tabu, wenn andere Weihnachten feiern, begehen Heidi, ihre Schwestern und Eltern das nordische Julfest, Silvester heißt bei ihnen „Jahreswechsel“. Die Ferien verbringt Heidi in Zeltlagern der mittlerweile verbotenen Organisation Heimattreue Deutsche Jugend, in denen den Teilnehmern „traditionelle Werte“ vermittelt werden. Auch das äußerliche Erscheinungsbild über-
wacht der Vater streng: Heidi darf sich die Haare nicht kurz schneiden, Jeans sind verboten. Wenn die Töchter nicht
gehorchen, sperrt der Vater sie in ihre Zimmer, manchmal schlägt er zu. „Einmal habe ich mit Nachbarskindern gespielt, die thailändische Mütter haben“, erinnert sie sich. Hinterher zieht ihr Vater sie auf, sie habe die „ekligen Kanackenkinder“ berührt. Wie es in der Familie zugeht, ahnen die anderen Dorfbewohner nicht: „Als ich einer Nachbarin von der Heimattreue Deutsche Jugend erzählte, meinte die nur: ‚Du hast aber eine blühende Fantasie‘“, erinnert sich Heidi.

Wie der Nachbarin geht es vielen. Dass ganze Familien rechts sind und zum Beispiel die nette Mutter aus der Kita ihre Kinder völkisch-national erzieht, ist für die meisten nur schwer vorstellbar. Die Autorin Andrea Röpke (Mädelsache! Frauen in der Neonazi-Szene, Ch. Links Verlag, 16,90 €) befasst sich seit Jahren mit der Thematik und weiß: „Viele Mädchen werden dort hineingeboren, ihre Eltern, oft schon die Großeltern, denken nationalistisch und sind seit Jahrzehnten in der NS-Ideologie verhaftet.“ Dass rechtsextreme Frauen immer noch unterschätzt werden– wie das Beispiel Beate Zschäpe vom NSU- Terrortrio gezeigt hat –, haben braune Rädelsführer längst erkannt. Sie setzen weibliche Mitglieder ge- zielt als das „freundliche Gesicht“ der Rechten ein, die für das Elterngeld und gegen Abtreibung plädieren und mit sozialpolitischen Themen auf Stimmen- fang gehen. Offenbar mit Erfolg: Inzwischen ist jeder dritte NPD-Wähler eine Frau.

Auch Heidi fühlt sich in der rechten Szene wohl. Mit der Mutter, die sich mittlerweile von ihrem Mann getrennt und den Ausstieg geschafft hat, streitet sie immer öfter über Politik und einschlägige Musik auf ihrem Computer. Im Gegensatz zu ihren Schwestern zieht sie mit zwölf Jahren zu ihrem Vater – und versinkt immer tiefer im braunen Sumpf: Sie begleitet ihn auf rechte Tagungen in Vier-Sterne- Hotels, geht auf Rechtsrock-Konzerte, hilft beim Ausschank. Dass er ihre Chucks in den Müll wirft, weil die „aus Amerika kommen“, und das Poster des „weißen Negers“ Eminem von der Wand reißt, nimmt sie in Kauf. Ihr neues Leben ist aufregend („Man konnte ja nie wissen, ob die Polizei die Veranstaltung stürmt“), das starke Gemeinschafts- gefühl gibt ihr Halt. Für Frauen ist das braune Milieu noch aus einem weiteren Grund interessant: Auf rechten Veranstaltungen herrscht Frauenmangel. „Da wird man natürlich von allen hofiert“, so Heidi. Ihren ersten Freund hatte sie mit 14 Jahren. Der Partner ein Nazi, die Freunde „rechte Kameraden“– irgendwann hat auch Heidi diese tumbe Welt- anschauung verinnerlicht: Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg, Deutsche sind anderen Menschon überlegen, der Holocaust ist erfunden. Als sie mit ihrer Klasse in das Konzentrationslager Dachau fahren soll, weigert sie sich. Bis ihr Vater sie überredet, mitzureisen und die Mitarbeiterin der Gedenkstätte durch gezielte Fragen zu provozieren: „Zum Beispiel, warum neben den Verbrennungsöfen steht, dass sie nie benutzt wurden.“

Frauen werden als das „freundliche Gesicht“ der Rechten eingesetzt

Doch je älter sie wird, desto mehr bröckelt dieses Weltbild. Vor allem die Widersprüche im Leben vieler Nazis irritieren Heidi. „Obwohl die Familie als ‚höchstes Gut‘ bezeichnet wird, gehen viele Väter ins Bordell“, meint sie. Auch die „gesunde deutsche Jugend“ ist Teil der Ideologie, aber: „Übermäßiger Alkoholkonsum gehört für die meisten zu einem ge- lungenen Wochenende“. Dass ihr Großvater, zu dem sie eine besonders enge Bindung hat, sie spüren lässt, dass er ihre Einstellung falsch findet, stimmt Heidi nachdenklich. Und als sie im Magazin Spiegel zu sehen ist, weil sie die Beerdigung eines ranghohen Nazis besucht hat, sagen ehemalige Nachbarn ihrer Mutter, wie enttäuscht sie seien: „Das hat mich wirklich verletzt.“ Immer weniger passen Heidis selbst verordnetes Denken und ihr Alltag zusammen: Mit ausländischen Studenten, die sie kennenlernt, versteht sie sich gut. Als sie gefragt wird, ob der Pullover mit der Aufschrift „Werwolf Germania“ Nazikleidung sei, verneint sie, weil es ihr peinlich ist. Irgendwann wird der Druck so stark, dass Heidi und ihr Freund Felix über einen Ausstieg nachdenken. Doch ein erster Versuch scheitert – unter anderem, weil ihr Freund, ein rechter Liedermacher und „Star“ der Neonazi-Szene, zu seinen Gesinnungsgenossen zurückkehrt. Heidi ist im Gewissenskonflikt – wie viele Frauen, die aus- steigen wollen: Soll sie nicht nur ihr soziales Umfeld hinter sich lassen, sondern auch ihre Beziehung? Sie bleibt bei Felix, doch die Zweifel wachsen. Und mit ihnen die Angst: „Ich hatte das Gefühl, wir haben absolut keine Chance mehr.“

Doch diese Chance kommt. Als Felix eine Haft- strafe wegen wegen diverser szenetypischer Straf- taten absitzen muss, entscheiden sie sich endgültig für ein Leben ohne rechte Ideologie. „Wir waren uns beide sicher: So wollen wir nicht mehr weiterma- chen“, erinnert sich Heidi. Vor zweieinhalb Jahren nimmt das Paar deswegen Kontakt zur Aussteiger- organisation Exit auf, Heidi wendet sich außerdem an jene Familienangehörigen, die braunes Gedan- kengut verurteilen, und meldet sich wieder bei alten Schulfreunden. „Das funktionierte besser, als ich gedacht hätte“, stellt Heidi fest und klingt noch heute erleichtert. Auch ihre Mutter empfängt sie mit offenen Armen. „Ich rechne ihr hoch an, dass sie mir trotz allem das Gefühl gab, für mich da zu sein. Felix und ich hatten wirk- lich Glück.“ Langsam beginnen die beiden, sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren: Felix holt seinen Schul- abschluss nach und findet Arbeit, Heidi beginnt eine Ausbildung im sozialen Bereich.

„Viele könnten keine Neonazis sein, wenn sie ihr Handeln reflektieren würden.“ 

Es war ein harter Kampf, diesen Job zu bekommen. „Ich musste viele Krisengespräche führen und beweisen, dass ich mit meinem alten Leben end- gültig abgeschlossen habe“, sagt Heidi. Auch ihre alten Freunde vermisst sie inzwi- schen nicht mehr, obwohl sie sich bei einigen abso- lut sicher ist, „dass sie keine Neonazis mehr sein könnten, wenn sie ihr Handeln reflektieren würden.“ Um Wiedergutmachung zu leisten, gründen Heidi und Felix im November 2011 die „Aussteigerhilfe Bayern“ (aussteigerhilfe.de). „Ich habe unglaubliche Schuldgefühle und hoffe, mit dem Verein dem einen oder anderen helfen zu können“, sagt sie. Viele Mails hat sie schon bekommen – auch von Frauen. Wenn sie deren Fragen beantwortet, merkt sie, wie weit sie inzwischen von allem weg ist: „Ich kann so vieles heute gar nicht mehr nachvollziehen.“ Doch für sein Engagement zahlt das Paar einen hohen Preis. Beide stehen unter Polizeischutz, Zivilbeamte überwachen Tag und Nacht ihr Haus. Sie werden oft bedroht, Sätze wie „Solltet ihr sie sehen, zeigt ihnen, was wir mit Verrätern machen!“ stehen zigfach über sie in einschlägigen Foren. Manchmal ruft jemand nachts auf dem Handy an und brüllt Beschimpfungen auf die Mailbox. „Man muss schon aufpassen, dass man da keine Paranoia entwickelt“, fasst Heidi das Gefühl der ständigen Bedrohung zusammen. Wenn in ihrer Straße Autos fahren, die sie nicht kennt, sorgt sie sich. In der U-Bahn sieht sie sich vor dem Einsteigen die Leute, die im Abteil sitzen, ganz genau an. Nach- dem sie einmal nach einer Party an einer S-Bahn- Unterführung beinahe in eine randalierende Gruppe alter Bekannter geraten wäre, geht sie abends nur noch selten aus. Trotzdem gibt sich Heidi kämpferisch: „Verstecken ist keine Option. Ich will mir meine Lebensqualität nicht kaputt machen lassen.“ Lebensqualität, das bedeutet für sie, nicht mehr im permanenten Zwiespalt zu leben, und einfach mal im Café sitzen zu können – in Jeans.

 Die unterschätzte Gefahr

Der Anteil von Frauen mit neonazistischer Einstellung steigt: Laut einer Untersuchung des Verfassungs- schutzes Nordrhein-Westfalen ist die Hälfte derjenigen, die einer rechten Ideologie zustimmen, weiblich. Und sie werden nicht nur mehr, sondern auch aggressiver: Jede zehnte rechte Straftat wird mittlerweile von einer Frau verübt – vor 20 Jahren waren es noch unter fünf Prozent. Neben der klassischen Rolle als „Mutter und Hüterin der Heimat“ ist auch der politische Einfluss von Frauen im- mer mehr spürbar. „In dem Maße, in dem rechte Parteien ein seriöseres, weniger abschreckendes Image aufbauen möchte, steigt auch ihr Interesse an weiblichem Personal“, so der Verfassungs- schutz. Zwar sind Frauen in Spitzenpositionen noch Ausnahmeerscheinungen, dennoch fordern sie zunehmend politische Beteiligung ein, z. B. im Ring Nationaler Frauen: Die unabhängige Unterorganisation der NPD, die 2006 gegründet wurde, hatte 2009 noch 50 und 2011 bereits 150 Mitglieder. Tendenz steigend.  

Erschienen im Magazin Jolie, Ausgabe 10/2012.

Lea Hampel