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Anfänge und Enden

So wie jedem Anfang ein Zauber innewohnt, bedeutet jedes Ende auch Abschied von etwas. Fünf Münchner erzählen zum Jahreswechsel davon, wie es ist, etwas Neues zu beginnen und damit etwas Altes abzuschließen.

Die Rente

Constance Schnabl, 63, ehemalige Lehrerin, wird 2014 zum ersten Mal seit fast 40 Jahren keine Kinder mehr motivieren müssen

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Fast 40 Jahre lang war ich Lehrerin für Musik und Deutsch an einer Realschule. Ich hatte mich für den Beruf entschieden, weil er gut zur Familienplanung passte und mir in der Berufsberatung dazu geraten wurde. Davon, wie er wirklich war, hatte ich wenig Ahnung. Letztendlich habe ich ihn mit gemischten Gefühlen erlebt: Der Umgang mit Schülern und Jugendlichen hat mir gut gefallen, ich habe wahnsinnig gern mit ihnen musiziert. Ich habe eine Big Band gehabt, einen Chor geleitet und Bläserklassen initiiert. Aber in den normalen Klassen war es schwierig: Musik ist kein besonders beliebtes Fach. Es ist für die Versetzung nicht entscheidend. Ich musste viele Machtkämpfe führen, um mich durchzusetzen. Am Ende kann man oft nicht das machen, was man gern würde, sondern braucht für alles den Segen des Chefs. Über die Jahre ist die Arbeit anstrengender geworden: Die Schüler wollen individueller betreut werden als noch vor Jahren, es fällt ihnen oft schwer, sich in eine Gruppe einzupassen. Außerdem kamen immer neue junge Chefs, die sich profilieren wollten, und es gab immer mehr Besprechungen. Dazu kamen die vielen Korrekturen am Abend und am Wochenende: Zunehmend hatte ich das Gefühl, dass die Arbeit mich einengt und ich wenig Zeit für meine eigenen Interessen habe. Ich hatte immer mehr Lust, aufzuhören. Lange habe ich gedacht, das ginge mit 60 Jahren. Damals gab es so eine Regelung, die dann allerdings abgeschafft wurde. Letztendlich bin ich jetzt im Juli mit 62 Jahren über ein Blockmodell in Rente gegangen. Der offizielle Ruhestand beginnt erst, wenn ich 65 Jahre alt bin. Meinen letzten Tag fand ich großartig: allein die Vorstellung, mir nie wieder Gedanken machen zu müssen, wie ich Schüler motivieren muss! Natürlich ist es schade, einige nette Kollegen nicht mehr so oft zu sehen. Andererseits halten wir über E-Mail Kontakt und treffen uns auch privat – da hat man ohnehin mehr Zeit zu reden als zwischendurch in der Pause.

Was ich am meisten vermisst habe, lebe ich nun voll aus: das Musizieren. Ich habe schon im Studium Klavier gelernt. Das spiele ich jetzt wieder. Außerdem nehme ich Bratschenunterricht – ein Streichinstrument wollte ich schon lange lernen. Und ich habe eine Bekannte, mit der ich Klarinette spiele. Das lässt sich auch viel leichter vereinbaren, seit ich keine festen Arbeitszeiten mehr habe. Immer wieder stelle ich allerdings fest: Auch jetzt hat ein Tag nur 24 Stunden. Ich lese auch gern, und während man die Tageszeitung studiert, kann man natürlich nicht Bratsche üben. Zudem sind da noch der Haushalt und meine erwachsenen Kinder, die ich regelmäßig sehen will. Aber auch das klappt jetzt besser. Wenn mein Sohn früher sonntags zum Mittagessen kam, habe ich oft nur Zeit zum Kochen und Essen gehabt und insgeheim gehofft, dass er nicht zu lange bleibt, weil noch Korrekturen anstanden. Jetzt haben wir Zeit, sitzen zu bleiben und zu reden. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, im ersten freien Herbst eine Reise zu machen. Das ging aus gesundheitlichen Gründen nicht – und ist jetzt auch gut so: Meine älteste Tochter hat gerade ihr erstes Kind bekommen. Das macht unheimlich Spaß!


Das erste Kind

Nicole Bös, 34, und Jan Günther, 37, werden im Januar zum ersten Mal Eltern. Nach dem Schwangerschaftstest war ihnen klar: Jetzt ist alles anders, für immer!

Als wir den Schwangerschaftstest gemacht haben, war das für uns wie ein Sechser im Lotto. Mit Superzahl. Wir sind jetzt seit beinahe 13 Jahren zusammen, ein Drittel dieser Zeit hatten wir allerdings eine Fernbeziehung, zwischen München und Cambridge, Berlin und sogar Shanghai. Aus diesem Grund wohnen wir erst seit knapp vier Jahren zusammen. Diese Zeit zu zweit war sehr schön, aber uns war auch immer klar, dass wir auf jeden Fall Kinder haben wollen, und irgendwann haben wir gesagt: Jetzt ist der Moment.

Wenn man einen Schwangerschaftstest macht, fragt man sich vorher immer: Was passiert, wenn er wirklich positiv ist? Als wir dann das Smiley auf dem Teststab gesehen haben, wussten wir: Jetzt ist alles anders, für immer. Ein Studienfach, einen Job, einen Umzug: All das kann man rückgängig machen. Unser Kind wird aber immer da sein. Wir werden uns immer Sorgen machen und hoffen, dass es ihm gut geht.

Vor allem aber haben wir uns wahnsinnig gefreut. Sofort nach dem Test haben wir unsere Eltern angerufen. Für sie alle ist es das erste Enkelkind, und eigentlich haben sie nur darauf gewartet, dass wir Eltern werden. Dann kam die erste Untersuchung, wir haben das erste Mal das Herz auf dem Ultraschall gesehen, ein kleiner Punkt, der auf dem Bildschirm flimmert. In der 21. Woche haben wir dann erfahren, dass es ein Junge wird. Das ist toll! Über ein Mädchen hätten wir uns aber genauso gefreut, denn auch wenn es sich wie eine doofe Floskel anhört: Die Hauptsache ist, dass es gesund ist.

Natürlich machen wir uns Sorgen, wir bekommen aber auch ständig Tipps und Ratschläge, was man darf und was nicht, keine Rohmilchprodukte, nicht mehr auf dem Rücken schlafen und so weiter. Wir machen das ja zum ersten Mal und wollen nichts falsch machen. Auf der anderen Seite sind wir aber auch nicht das erste Paar auf der Welt, das ein Kind bekommt. Am wichtigsten ist wahrscheinlich, dass man auf sich selbst hört – und auf keinen Fall im Internet zu viel über Schwangerschaft liest!

Wenn unser Sohn auf der Welt ist, wird hoffentlich die Zimmerdecke fertig gestrickt sein, ansonsten haben wir bis jetzt nicht so viel für unser Baby gekauft. Wir finden es komisch, wenn schon Monate vor der Geburt ein komplettes Kinderzimmer eingerichtet ist. Gleichzeitig muss man sich in München schon sehr früh um viele Dinge kümmern: ein Krankenhaus für die Entbindung, eine Hebamme, einen Krippenplatz. Manchmal hatten wir schon das Gefühl, dass man das am besten macht, bevor man ein Kind plant.

Zwischen uns beiden hat sich seit der Schwangerschaft nicht wirklich viel verändert. An unserem Jahrestag werden wir heiraten, damit wir eine richtige Familie sind. Und wir reden nicht mehr so viel über den nächsten Urlaub, sondern mehr über unser Baby. Irgendwann wollen wir vielleicht ein zweites haben, erst mal aber sind wir gespannt, wie unser erstes wird, welche Charakterzüge es hat, wie es aussehen wird – das alles ist ja schließlich auch ein bisschen so wie Lotto spielen, nur dass man dabei nur gewinnen kann.

Der neue Job

Dietmar Janz, 56, ist Betriebsleiter einer Einrichtung der Inneren Mission. Ab März 2014 will er nur noch als Künstler arbeiten

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Seit 14 Jahren arbeite ich bei der Diakonia. Angefangen habe ich mit einer halben Stelle, weil ich neben der Arbeit auch noch Kunst machen wollte. Ich habe mehr und mehr Verantwortung übernommen, wurde Betriebsleiter und blieb. Ich habe die Sozialarbeit übrigens nie als Job, sondern eher als Aufgabe und Herzensangelegenheit gesehen. Erst als ich gesundheitliche Probleme bekam, kam die Erkenntnis: So sollte es nicht weitergehen. Bis dahin waren das immer nur die anderen, die krank waren. Das hat die Frage aufgeworfen: Was macht man eigentlich in seinem Leben? Ich habe beschlossen, ab März wieder hauptberuflich als Künstler zu arbeiten.

Von 1985 bis 1992 war ich an der Kunstakademie. Danach habe ich ohne größeren Erfolg als Maler gearbeitet. Trotzdem habe ich mir während der ganzen letzten Jahre immer den Luxus erlaubt, ein Atelier zu haben. Zum einen wollte ich den Faden nie abreißen lassen. So vielen aus meinem Umfeld ist das nicht gelungen – dranzubleiben und weiterzumachen. Zum anderen war die Kunst immer Teil meines Selbstverständnisses. Sie war kein „Ausgleich“, sondern „das andere“ meiner Persönlichkeit, und es war auch charmant, neben der Sozialarbeit den Künstler zu geben. In den letzten Jahren habe ich gemerkt, dass die Energie zum Malen geringer geworden ist. Ich war oft nur am Wochenende im Atelier. Das fand ich schade.

Ich habe ein wenig Geld zur Seite gelegt und komme damit für zwei bis drei Jahre zurecht, vorausgesetzt, dass ich ein wenig dazuverdiene. Dass ich das so machen kann, begreife ich als Freiheit und unglaubliches Privileg. Ich weiß, dass die Wahrscheinlichkeit, dass jetzt noch mein „künstlerischer Durchbruch“ kommt, gering ist. Andererseits ist auch ein Grund, dass ich aufhöre: Ich bin 56 Jahre alt, ich will noch mal „etwas reißen“, will es noch mal wissen. Ich möchte mich dieser Seite meiner Persönlichkeit mit neuer und größerer Intensität widmen. Natürlich ist es etwas anderes, wenn ich fulltime male. Da muss man dann gucken: Hat das auch Gewicht, was ich da tue? Letztendlich geht es um die Frage: Bestehe ich vor mir selbst?

Auf meine Entscheidung habe ich nur positive Reaktionen bekommen. Von meiner Frau ohnehin, aber auch von meinem Umfeld. Ich habe keine Bedenken, dass meine künftige Tätigkeit dort nicht als Arbeit gilt – „viel Arbeit“ gehört häufig zur Begrüßungsformel unter den Menschen, mit denen ich zu tun habe. Ob es immer sinnvoll und effizient ist und man mit seiner Arbeit Geld verdient, ist dabei aber eine ganz andere Frage. Ich habe auch keinen Plan B für den Fall, dass das Geld nicht reicht oder meine Arbeiten zu belanglos sind. Ich denke auch nicht darüber nach, sondern bin überzeugt, dass ich notfalls Ideen hätte, vermutlich wieder im Bereich der sozialen Arbeit. Außerdem habe ich ein großes Netzwerk, diese Kontakte will ich pflegen. Immerhin sind es noch etwa neun Jahre, bis ich Rente beziehen kann.

Ab März möchte ich täglich im Atelier sein. Vermutlich werde ich nicht mehr jeden Tag um 5.30 Uhr aufstehen, aber ich habe mir vorgenommen, sehr diszipliniert zu arbeiten. Noch rede ich bei meiner Arbeit den ganzen Tag mit Menschen. Ich werde aufpassen müssen, meine sozialen Kontakte aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig freue ich mich: Eine Spannung wird von mir abfallen, weil ich nicht mehr für so viele Menschen verantwortlich bin. Und ich freue mich auf die Intensität, das Dranbleiben. Ich habe verschiedene Projekte im Kopf und werde zum ersten Mal seit langer Zeit nicht mehr müde sein, wenn ich male.

Der eigene Sender

Eva Schmidt, 48, hat 2012 den Digitalsender Radio München gegründet, mit dem sie im Januar auf Sendung geht

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Ich habe lange als Hörfunkjournalistin gearbeitet und war immer auf der Suche nach etwas Neuem. Ich wollte Gesellschaftsthemen aus München auf einem Niveau bearbeiten, das die Menschen anspricht und trotzdem kein Dudelfunk ist. Klar, wir haben eine Radio-Hochkultur, und wir haben linkes Radio wie Radio Lora, wo ich lange gearbeitet habe. Dennoch empfand ich eine große Lücke. In dieser Stadt gibt es unfassbar viel an Musik, Geschehen, Stadtentwicklung, und dafür wollte ich ein Wortprogramm, in dem auch die Münchner Musikszene Platz hat. Die Idee zu einem eigenen Sender kam mir Anfang 2012. Seitdem bin ich in Sachen Radio München unterwegs.

Von vornherein war mir klar: Das ist ein großes Projekt. Aber: Wenn man einmal wach ist für ein Thema, kommt alles irgendwie auf einen zu: die Menschen, die Gedanken. Mit der Zeit hat sich so alles ergeben: die thematische Ausrichtung, die Musik, die Redakteure, das Marketing. Je nachdem wer mir über den Weg lief, wurde eingesackt. Natürlich gab es Schwierigkeiten: Beispielsweise haben wir lange an der Frage geknabbert, wie breit wir uns thematisch aufstellen wollen. Einen Bruch gab es im Sommer 2012. Da habe ich gedacht: Entweder du wirst verrückt, oder du entwickelst eine andere Haltung. Ich habe dann sechs Wochen Auszeit genommen und festgelegt: Es muss immer leicht sein. Das Ganze darf mich nicht stressen. Damals habe ich herausgefunden: Was geht und was nicht, hängt mit der eigenen Energie zusammen. Wie viel Geduld habe ich? Welchen Konflikten stelle ich mich? Überrascht haben mich die kleinen Dammbrüche unterwegs. Um manche Dinge haben wir uns monatelang bemüht – beispielsweise um eine Kooperation mit dem Goethe-Institut. Und plötzlich kam eine Anfrage, ob wir einen Hospitanten von denen nehmen würden. Den haben wir natürlich untergebracht, gemeinsam haben wir eine Sendung gebaut.

Alles lässt sich nach fast zwei Jahren sehr gut an. Natürlich gibt es konstante Knackpunkte: Geld wird immer einer sein. Doch mittlerweile sind 15 Leute mit Herz, Hand und Seele dabei. Wir haben einen Sendeplan, bauen eine Musikredaktion auf und konzipieren einen Live-Stream fürs Internet. Bei uns wird es ein breites Themenspektrum geben: von Gender über Kabarett bis zu Literatur und Theater. Auch die Musik ist ganz breit gefächert: von Avantgarde bis Landler, von Krautrock bis Klassik. Wir werden die Ska-Band Jamaram genauso spielen wie Weltmusik von Quadro Nuevo. Wichtig ist aber: Alles soll einen Bezug zu München haben.

Im Oktober dieses Jahres haben wir einen Meilenstein erreicht: Vom ersten Januar an teilen wir uns täglich von null bis 10 Uhr und von 19 bis 24 Uhr eine Digitalfrequenz mit dem St.-MichaelsBund. Wir können stückchenweise einsteigen, bis wir ein eigenes Hauptprogramm laufen lassen können. Wenn alles so weitergeht, wie ich mir das wünsche, fühlt sich künftig jeder wohl, der mitmacht. Wir tun, was wir können, in guter Qualität. Ob wir dann eine Stunde senden oder 15, ist erst mal egal.


Die erste gemeinsame Wohnung

Marcus Grassl, 31, und Nina Reggi, 30, Musiker von Aloa Input und Doktorandin, werden ab dem neuen Jahr zusammenwohnen

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Wenn ich diesen Monat mit Nina zusammenziehe, habe ich sechs Jahre Wohngemeinschaft und neun verschiedene Mitbewohner hinter mir – die Zwischenmieter, die nur für ein paar Monate bei mir gewohnt haben, zähle ich da gar nicht mit. Im November 2007 bin ich von Regensburg nach München gekommen. Damals habe ich meine WG gegründet, zusammen mit zwei Freundinnen. Die meisten Menschen, mit denen ich hier gewohnt habe, waren Freunde oder Bekannte, und eigentlich war es noch nie so harmonisch wie jetzt, trotzdem ist es Zeit für etwas Neues und vor allem etwas Eigenes. Nina und ich sind seit zwei Jahren ein Paar und wohnen eigentlich schon zusammen – nur eben in zwei Wohnungen. 50 Prozent der Zeit sind wir bei mir, 50 Prozent bei Nina. Nina sagt, sie mag das Hin und Her, ich finde es auf Dauer aber ziemlich anstrengend.

Marcus sagt, meine Wohnung sei ein Loch, und leider hat er da teilweise sogar Recht. Dabei ist das Haus ein schönes altes Gebäude. Aber ich wohne im Parterre, Licht kommt da kaum rein, und sogar im Sommer muss ich die Lampen anmachen. Früher, als ich noch gearbeitet habe, war das nicht schlimm, da war ich ohnehin fast immer im Büro, jetzt promoviere ich und schreibe viel zu Hause. Das Licht fehlt mir deswegen, und ich freue mich, dass ich jetzt mit Marcus zusammen in eine neue Wohnung ziehe.

Nina und ich haben schon vor längerer Zeit beschlossen, dass wir zusammenziehen wollen, das Problem war dann der Münchner Wohnungsmarkt. Auf einer Party hat ein Bekannter uns erzählt, dass er und seine Freundin umziehen. Wir haben sofort gefragt, ob ihre alte Wohnung frei ist. Gleich am nächsten Tag haben wir sie angeschaut: zwei Zimmer, Altbau, Parkett. Perfekt.

Eigentlich bin ich mir sicher, dass wir uns gut verstehen werden. Vielleicht komme ich weniger zum Arbeiten, weil ich mich morgens nicht gleich um sieben Uhr an meinen Schreibtisch setze, sondern erst mal mit Marcus frühstücke, aber das ist ja etwas Schönes. Wirklich viele Sachen werden wir nicht kaufen müssen für die neue Wohnung, und im Moment diskutieren wir eher darüber, was nicht mitkommt – zum Beispiel dieses hässliche Ledersofa, das Marcus unbedingt in die neue Wohnung stellen will.

Wenn Nina und ich zusammenwohnen, freue ich mich vor allem auf die Ruhe. Ich finde toll, dass die Wohnung uns gehört, dass es unser Bad ist und im Abfluss keine Haare von anderen Leuten liegen. Trotzdem werde ich die WG sicher vermissen. Ich verbinde tolle Momente mit dieser Zeit. Ich habe viel Musik in meinem Zimmer gemacht, hatte aber auch schlimmen Liebeskummer. Es ist Zeit, all diese Geister hierzulassen und zusammen mit Nina etwas Neues anzufangen.


Die Weltreise

Michèle Loetzner, 31, Journalistin, wird ab diesem Monat weit weg von zu Hause sein

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Eigentlich wollte ich schon nach der Schule auf Weltreise gehen. Stattdessen bin ich meinem damaligen Freund zum Studieren nach München gefolgt. Dann kamen Uni, Nebenjobs und die erste richtige Stelle – eine große Reise war da lange nicht drin. Als mein Wunsch, ein Sabbatical zu machen, abgelehnt wurde, habe ich gekündigt. Ich wollte mich selbstständig machen, aber parallel hat mein Freund ein Sabbatical bewilligt bekommen. Das hat mich mitgerissen. Ich dachte mir: Die Möglichkeit, dass wir beide Zeit haben, kommt bestimmt nicht wieder. Außerdem hatte ich Geld für die Selbstständigkeit zur Seite gelegt, die aber von Anfang an so gut lief, dass ich plötzlich ein Reisebudget hatte.

Durch Zufall habe ich im Oktober ein günstiges Ticket entdeckt und spontan die Kreditkarte genommen und gebucht. Richtig aufgeregt war ich erst bei der ersten Impfung. Da war klar: Du gibst jetzt viel Geld aus für Impfungen gegen japanische Enzephalitis und so. Weil da ein körperlicher Schmerz dabei war, hat es sich auf einmal echt angefühlt.

Die Strecke ist nicht festgelegt. Ich fliege nach Bangkok und treffe dort meinen Freund. Dann bleiben wir in Thailand und wollen nach Myanmar. Und danach: keine Ahnung. Malaysia, die Philippinen, Laos, Shanghai, vielleicht nach Hongkong, all das steht auf unserem Plan. Vielleicht sogar Neuseeland. Am meisten freue ich mich auf die Tempelstadt Bagan in Myanmar. Ich werde weder das Essen noch den Winter vermissen, aber meine Freunde, mein Bett und meine Sachen werden mir fehlen. Wenn man immer nur mit einem Rucksack reist und seinen vertrauten Kram nicht dabeihat, ist das bestimmt schwer. Weil ich Angst habe, beklaut zu werden, packe ich keine Lieblingssachen ein, sondern nur alte Dinge, die ich dort lassen kann, wenn ich sie nicht mehr brauche. Besonders aufpassen muss ich allerdings auf meine Schuhe: Ich habe Größe 42, und so große Damenschuhe in Asien zu bekommen, ist wahrscheinlich unmöglich. Wichtig ist außerdem, dass ich meinen Laptop und mein Handy mitnehme. Mich komplett aus dem Leben hier ausklinken und ein halbes Jahr lang nichts von allen hören, kann ich nicht. Das Bedürfnis habe ich auch nicht. Ich will ja wissen, was die Leute, die ich mag, machen.

Ich habe Angst, mich zu verletzen. Man lässt sich gegen alles Mögliche impfen und hat eine Auslandskrankenversicherung, und dann rutscht man in der Dusche im Hotel aus und verknackst sich das Bein. Ich fürchte mich außerdem davor, mich mit meinem Freund zu streiten: Auf Lagerkoller kann man sich einstellen, wenn man acht Stunden bei 35 Grad auf eine Fähre wartet, die dann doch nicht kommt. Wir haben ausgemacht, auf keinen Fall zu streiten, und sollte es doch dazu kommen, dreht sich sofort einer um und lässt das verrauchen. Aber ich werde ihn wahrscheinlich von ganz anderen Seiten kennenlernen – anstrengenden, aber auch ganz tollen.

Überall wollen wir etwa eine Woche bleiben, weil ich festgestellt habe, dass es keinen Sinn macht, 17 Stationen in vier Tagen abzureisen, sondern dass man für vieles mehr Zeit braucht. Denn egal wie schön ein Ort ist, an dem man ist, es gibt irgendwo einen schöneren. Es wäre fast Verschwendung, irgendwohin zweimal zu fahren, dafür gibt’s zu viele schöne Orte. Ich möchte auch versuchen, in der Fremde einen Alltag aufzubauen. Ich will wandern, Sport machen und auch arbeiten und Texte schreiben. Ich werde schnell verrückt, wenn ich nur aufs Wasser starre. Ich hoffe, dass das nach der Reise anders ist und ich dann ruhiger bin, Dinge nicht mehr so schwernehme und nicht gleich durchdrehe, zum Beispiel weil der Bus nicht kommt.

Verfasst zusammen mit Christoph Gurk, erschienen im Magazin BISS, Ausgabe 12/2013. Die Fotos stammen von Matthias Kestel.

Lea Hampel