Text • Stuttgarter Zeitung

Alte Fummel für neuen Schick

Immer öfter treffen sich Menschen, um Klamotten zu tauschen und aufzumotzen – wie bei der „Reschique“ in Karlsruhe.

Maximilianes Ziel ist hochgesteckt. Ein Kleid soll es sein, für heute Abend. Schwungvoll betritt die 18-Jährige mit den kurzen braunen Haaren das alte Eckhaus in der Karlsruher Gottesauer Straße. Dabei hat sie ihre Freundinnen Nora und Joanne, 18 und 17 Jahre, alle drei sind beladen mit Tüten, in denen sie einst neu erworbene Klamotten nach Hause trugen. Heute und hier passiert das Gegenteil. Denn im Café Nun findet an diesem Samstagnachmittag eine Klamottentauschparty statt. Maximiliane, Nora und Joanne haben T-Shirts dabei, die sie nie oder zu oft getragen haben, Röcke, die sie nicht mehr mögen, und Pullover, die nicht mehr in den Schrank passen. Die wollen sie tauschen –oder mit Borten, Drucken oder Knöpfen verschönern, passend zu dem Namen der Veranstaltung: „Reschique“. Man könnte auch Aufhübschen sagen. Drinnen stehen im Licht der gelben Fenster auf alten, dunkelroten Tischen fünf Nähmaschinen. Manche sehen aus, als hätte die Oma schon damit genäht, andere sind neu, aus weißem Plastik. Davor sitzen, in die Arbeit vertieft, junge Frauen. Ein konstantes Rattern geht durch den Raum, zwischen den Maschinen stehen gelbe und lila Garnrollen. Überall verteilt sind Nadelkissen, Aufnäher und Knopfschachteln. In der Ecke steht ein Bügelbrett, daneben zwei Kisten gemusterte Stoffe.

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Es hat etwas von einer Heinzelmännchenwerkstatt, durch das Rattern dringen Gesprächsfetzen der fast vierzig Frauen. „Das passt dir doch!“, ist mal zu hören, „toller Schnitt“, sagt eine und: „Wie fällt der Stoff?“ Sie befühlen Jeans, halten eine Jacke prüfend vor den Körper. Nebenher gibt es Dinkelstollen und Cappuccino. Maximiliane steuert zielstrebig die Schatzecke an. Hinter einer Holzwand, auf schwarzen Lederpolstern, liegen Reste weiblicher Kauflust. Chinesische Bademäntel neben unzähligen Shirts, weiß mit Punkten, hellgelb mit schwarzen Vögeln bis zu knallrot. Eine grüne Lederjacke neben einem Nadelstreifenjackett, der karierte Winterrock neben dem goldenen Netzkleid. Viele Sachen stammen von H&M, einer Bekleidungskette, die ja auch in Klassenzimmern und an Universitäten weit verbreitet ist und auch die jungen Näherinnen der Klamottentauschparty beflügelt, mit ihrer Hilfe das Bedürfnis nach Individualität auszuleben.

Maximiliane holt mehrere Shirts aus ihrem Lederranzen und legt sie dazu. „Dafür sollte ich was Feines finden“, sagt sie. Sie ist nicht das erste Mal hier, hat längst einen Blick dafür, was verwendbar ist und was nicht taugt. Eine Stunde steht sie mit Nora und Joanne vor der Kleidung, hebt hier eine Hose hoch, befühlt dort eine Jacke. Die Idee, Überflüssiges zu tauschen, stammt aus England. Swaporamarama hieß die Pionierveranstaltung dort. Hannegret Lindner mochte die Idee auf Anhieb, als ein Freund ihr davon erzählte. „Nicht alleine im stillen Kämmerlein zu arbeiten gefiel mir“, sagt die 28-jährige Grafikdesignern. Sie näht seit Jahren und trägt heute einen Pulli mit Aufnähern. Seit 2006 findet die Veranstaltung in Karlsruhe zweimal im Jahr statt unter dem Motto „I came, I sewed, I conquered“ – zu Deutsch:ich kam, nähte und siegte.

Schon die erste ReschiqueParty war ein Erfolg. Eine Hipsterveranstaltung wie in Hamburg oder München ist es nicht. „Wir sind in Karlsruhe“, sagt Hannegret Lindner und schmunzelt. Dennoch ist das Publikum meist jung, zwischen 18 und 35 Jahren. Also im Alter von Maximiliane. Sie hat mittlerweile alle Teile zusammen: den Unterrock eines Kleides, Teile eines Shirts als Taille, darüber Träger und Oberteil eines Nachthemdes. Es braucht eine ganze Menge Arbeit, bis daraus ein tragbares Kleid wird. Wo soll die Naht des Rocks sitzen, auf welcher Höhe die Taille? Einige Schritte kennt sie schon. Sie hat einen Nähkurs gemacht. Hakt es doch, ist das Reschique-Team da.

Die vier Damen haben neben ihren Nähmaschinen vor allem Erfahrung mitgebracht. Immer wieder gehen sie durchs Café und geben Rat: wie man elastischen Stoff näht, ohne dass er sich ringelt, wie eine Hose zum Rock wird und wo Abnäher hin müssen, damit die Bluse auf Größe 36 schrumpft.

„Es gefällt mir, nicht allein im stillen Kämmerchen zu arbeiten.“ Hannegret Lindner ist Designerin und näht gern

Die Veranstalterinnen der Reschique liegen mit dem Faible fürs Selbermachen voll im Trend. Vor allem Nähen und Stricken ist wieder modern. Viele Blogs gibt es, die Selbstgemachtes präsentieren, Internetshops für Handarbeit wie Etsy.com entstehen. Seit 2009 bietet das Nähmagazin „Cut“ junge Schnitte abseits von Burda. Dabei geht es nicht nur um Individualität, sondern auch um Ökologie. Dinge wegzuwerfen und billig Neues zu kaufen widerstrebt den Frauen, die hier emsig abstecken. Isabel Sanchez Gonzales, 46 Jahre, ist Designerin. Sie hat sich darauf spezialisiert, alte Pelze um zu nähen. Zur Reschique ist sie aus Neugier gekommen, auf der Suche nach Anregungen und Material. Vor allem junge Kunden wollen Gutes nicht wegwerfen, das beobachtet sie seit Jahren.

Nachhaltig, aber bitte modern, das ist den Besuchern wichtig. Deshalb finden nicht alle Sachen einen Abnehmer. Die sortieren Hannegret Lindner und die Mitorganisatorinnen nach der Party – und heben sie auf für nächstes Mal oder geben sie in die Altkleiderspende. Jeder lässt was hier von sich, fasst eine der Organisatorinnen das Prinzip zusammen.

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Das gefällt auch Maximiliane an der Idee. „Ich finde es wichtig, mal etwas abzugeben“, erklärt sie, während sie die eben entdeckte Perlenblume auf dem Kleid platziert. Fünf Shirts hat sie hiergelassen, dazu drei Euro in der Spendenbox. Aus der werden Maschinenreparaturen und Material bezahlt. Ein schwarzes Kleid, das beim Dinner am Abend wie angegossen sitzen wird, trägt sie in der Ledertasche heim, zusammen mit einem Sommerkleid und einem Jäckchen. Ab in den Kleiderschrank. Bis zur nächsten Tauschparty.

Secondhandshops Vor allem in den siebziger Jahren war es modern, gebrauchte Kleidungsstücke auf Flohmärkten und in Secondhandläden zu erwerben oder loszuwerden. In den neunziger Jahren kamen dazu noch die Oxfam-Shops, in denen Ehrenamtliche Mitarbeiter Gebrauchtwaren verkaufen. Der Erlös geht an internationale Oxfam-Hilfsprojekte.
Internet Ein reger Austausch gebrauchter Kleidung findet seit den neunziger Jahren auch im Internet statt. Auf Handelsseiten wie Ebay und Tauschplattformen ist vom alten Zylinder bis zur modernen Designertasche alles zu finden.
Swappartys Klamottentauschen als Event, mit Getränken und oft einer Party hinterher, kam aus England nach Deutschland, bekannt geworden ist es durch die Swaporamarama-Events von Wendy Tremaine. Es folgten Veranstaltungen in Freiburg, Köln und vielen anderen Städten. Als großes Event gab es eine Tauschparty auch am Rande von thekey.to, der Ökomodemesse während der Berliner Fashionweek 2009.
Neuware Neben dem blühenden Handel mit Altkleidern werden in Deutschland außerdem 880 000 Tonnen neue Kleidungsstücke verkauft. Bei Textilien aller Bereiche sind es insgesamt 1 900 000.

Reschique in Karlsruhe
Klamottentauschparties online
Das Original aus England
Online-Portal Etsy für Selbstgemachtes
Cut Magazine
Erschienen in der Stuttgarter Zeitung, Ressort Leben, Gesellschaft & Kultur am Wochenende, Ausgabe 269, am 20. November 2010. Die Fotos stammen von Marc Frieder Böttler.

 

Lea Hampel