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“Zieh in den Krieg! Mach Kunst!”

Michael D. Fay hatte neun Jahre lang den Auftrag, für die US-Armee Kunstwerke anzufertigen. Nicht im Atelier, sondern im Feld, unter anderem in Afghanistan und im Irak. Jetzt ist der »US War Artist« im Ruhestand.

Herr Fay, kann Krieg schön sein?
Michael D. Fay: Ja. Zumindest aus der Sicht derjenigen, die selbst im Krieg waren. Meine Erfahrung ist: Es gibt keine andere Situation, in der Männer einander näher sind als im Kriegseinsatz. Da gibt es Jungs, die einander hassen, aber jederzeit füreinander sterben würden. Das findet man sonst nirgendwo. Ich glaube, das ist eine spezielle Form von Liebe.

Das klingt sehr heroisierend.
Ja, ich weiß. Es ist paradox. Du wirst dreckig im Krieg, du stinkst, und du siehst die schrecklichsten Dinge. Viele Soldaten kämpfen mit diesem Kontrast. Sie erleben eine Schönheit, eine Kameradschaft. Und dann all diese abstoßenden Dinge.

Sie waren neun Jahre lang offizieller Kriegskünstler der US-Armee. War es Ihre Aufgabe, die heroischen Seiten des Krieges abzubilden?
Nein. Ich versuche, den Krieg so zu zeigen, wie er ist. Ich male Verletzte und Tote, aber auch ganz harmlose Szenen. Eines meiner Bilder zeigt zwei Soldaten, die in Kuwait vor einem Waschsalon sitzen und sich unterhalten. Es war ein Moment, den ich einfach schön fand. Die Männer hatten scharfe Schatten in der unbarmherzigen asiatischen Sonne. Das hat nichts Heroisches. Und selbst in Bildern von Kämpfen und Gefechten versuche ich nicht, das Paradox zwischen dem Schönen und dem Abstoßenden aufzulösen.

Sondern?
Bei einem meiner ersten Einsätze in Afghanistan 2002 bin ich mit meinem Platoon einer anderen Einheit zur Hilfe gekommen. Wir kamen in einen kleinen Innenhof, drei Mal drei Meter groß. Hier hatte gerade ein Kampf stattgefunden, es gab Verletzte und Tote. Überall lagen Körper herum, die Überlebenden haben den Verletzten gut zugeredet: »Es ist nicht so schlimm, du bist okay.« Ich konnte sehen, dass manche dieser Menschen bereits im Sterben lagen. Ein Lieutenant etwa ist bei dieser Aktion verblutet – er war blass, die Augen starr und voller Dreck. Als wir ihn mit Laken bedeckten, hat noch seine Hand unter dem Laken herausgeschaut. Ein unverletzter Marine saß in der Ecke und weinte still. Im Hintergrund das Dröhnen der Helikopter, die die Verwundeten abtransportierten. Und dann die Jungs mit den Leichensäcken, die sich so bemüht haben, ihre toten Kameraden nicht über den Boden zu schleifen, sondern zu tragen – als Zeichen des Respekts. Noch heute, Jahre später, bringt mich das zum Weinen. Ich habe an Ort und Stelle Fotos aufgenommen und aus dieser Szene später ein Bild gemacht, das alles zeigt, was in dem Moment passiert ist: den weinenden Mann, die Leiche mit der Hand, die Leichensäcke, die Helikopter. Es basiert auf der Realität, aber es gibt eine künstlerische Auswahl – du unterteilst es in Vorder- und Hintergrund, spielst mit der Intensität der Farbe und führst die Augen des Betrachters durch dein Bild.

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Haben Sie Ihre Bilder immer aus Fotos zusammengesetzt?
Nein, nur in solchen Ausnahmefällen. Ich hatte immer einen Skizzenblock dabei und habe bei jeder Gelegenheit gezeichnet. Für mehr als Skizzen reicht die Zeit im Feld meistens nicht. Also musst du den Eindruck behalten können, bis du zurückkehrst, um größere Arbeiten zu machen.

Lassen sich die Soldaten gern zeichnen?
Die meisten. Manchmal habe ich gewitzelt und gesagt: Ich mach dich berühmt, ich bring dich in die Geschichtsbücher! Aber den meisten ist bloß wichtig, dass sie hinterher sehen, was du gezeichnet hast. Die müssen sicher sein, dass sie dir vertrauen können.

Hat mal jemand abgelehnt, gezeichnet zu werden?
Ja, einmal. Das war ein Marine im Krankenhaus, dem beide Beine und die Genitalien amputiert worden waren. Er hat deutlich gesagt, dass er das nicht möchte. Wir respektieren das.

Entscheiden Sie selbst, welche Einheiten Sie begleiten?
Solange mich die Einheit als mitreisenden Künstler akzeptiert, kann ich selbst wählen, wann ich wen begleite. Ich kann allerdings auch abgelehnt werden – genau deshalb ist es wichtig, dass ein Vertrauen herrscht zwischen der Armee und den Kriegskünstlern. Ich habe in meinen letzten Jahren versucht, bei wichtigen Kampfeinsätzen dabei zu sein, und habe mir historisch wichtige Ereignisse ausgesucht, beispielsweise die Wahlen im Irak im Oktober und Dezember 2005.

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Müssen Sie im Notfall mitkämpfen?
Ja. Es kommt aber darauf an, wie ernst es ist. Wenn uns die Taliban aus zweihundert Meter Entfernung beschießen, muss ich nicht zurückfeuern. Das wäre dumm. Aber wenn man plötzlich aus einem Hinterhalt angegriffen wird, ist es besser, man macht mit. Das habe ich auch getan.

Wie sind Sie Kriegskünstler geworden?
Ich hatte schon als aktiver Soldat immer einen Zeichenblock dabei. Unterwegs habe ich Bilder von den Jungs gemacht, wie sie sich an Bord eines Schiffes amüsieren oder bei jeder erdenklichen Gelegenheit versuchen, ein bisschen zu schlafen. 1993 habe ich durch Zufall eine Frau kennengelernt, die offizieller »War Artist« war und aufhören wollte. Ich bewarb mich um ihren Job. Im Januar 2000 war ich dann erstmals im Dienst. Mein Befehl lautete: »Zieh in den Krieg, mach Kunst.« Mehr nicht.

Waren Sie damals der einzige Kriegskünstler der US-Armee?
Ja, und auch jetzt gibt es wieder nur einen. Früher war das anders, in den Zweiten Weltkrieg hat die US-Armee ein Dutzend Kriegskünstler entsandt. Mittlerweile sind wir leider so etwas wie die letzten Einhörner. Als ich im Jahr 2000 anfing, gab es sogar für mich nichts zu tun: kein Geld. Ich durfte zu keinen Einsätzen mitfahren. Dann kam der 11. September. Plötzlich war mehr Geld da, und ich wurde schließlich im Dezember 2001 zusammen mit zwei Historikern in meinen ersten Einsatz geschickt: nach Afghanistan.

Wie viele Kriegskünstler aktiv sind, ist also eine Geldfrage?
Absolut. Plötzlich gab es einen großen Topf für den globalen »Krieg gegen den Terrorismus«. Und damit auch Geld, um uns nach Übersee zu fliegen. Auch mein Nachfolger Kristopher Battles ist schon viel im Ausland unterwegs gewesen – bei friedlichen Missionen wie auf Haiti und den Philippinen, aber auch im Irak.

Was passiert mit Ihrer Kunst?
Man sieht sie in ganz unterschiedlichen Museen, das meiste geht ins Marine Corps-Museum bei Washington. Ein Teil meiner Kunst ist bei speziellen Ausstellungen zu sehen, beispielsweise gerade im Bilboa Museum in Spanien. Natürlich nicht nur meine, sondern auch die Kunst aller meiner Vorgänger.

Seit wann gibt es Kriegskünstler?
Moderne Kriegskunst gibt es, seit es Zeitungen gibt. Im amerikanischen Bürgerkrieg 1861 bis 1865 gab es zum ersten Mal eine richtige Bilderflut. Amerikanische Künstler durften als sogenannte Specials die Armeen begleiten – aber offizielle Kriegskünstler waren sie noch nicht. Im Ersten Weltkrieg haben dann die Briten und die Deutschen offizielle Künstler entsandt. Es war psychologische Kriegsführung: Sowohl die Briten als auch die Deutschen wollten die USA überzeugen, auf ihrer Seite einzusteigen. Im Zweiten Weltkrieg haben auch die USA Autoren, Fotografen und Künstler engagiert. Es war von Anfang an klar, dass es keine heroischen Siegerportraits sein sollen, sondern eine ungeschönte Dokumentation dessen, was im Feld passiert.

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War das in allen Armeen so?
Nein. Die offiziellen Künstler der deutschen Wehrmacht haben vor allem heldenhafte Soldaten gezeichnet, die durch den Matsch wateten. Und die Sowjets hatten ein Kunstprogramm, das sich an die wenig gebildete Bevölkerung richtete und den Krieg romantisierte: der letzte russische Soldat in Sewastopol mit einer Handgranate. Solche Dinge.

Und heute?
Es gibt in vielen Armeen noch Kriegskünstler, etwa in Australien, Kanada und Großbritannien. Manche zeichnen sehr modern, hyperkreativ. Ich habe mit Soldaten gesprochen, die meinten, dass sie sich in einer allzu abstrakten Kunst nicht wiederfinden. Sie denken: Diese Künstler haben überhaupt keine Vorstellung von dem, was ich dort erlebt habe. Deshalb ist es mir wichtig, nah dran zu sein. Und den Krieg realistisch darzustellen.

Spätestens seit dem Vietnamkrieg wäre doch Fotografieren und Filmen viel einfacher gewesen als Zeichnen. Wieso hält man daran fest?
Das frage ich mich auch manchmal. Aber am Ende existiert Kunst doch immer auch um ihrer selbst Willen. Außerdem ist es ein Zeichen: Selbst im Krieg bleibt die Kunst Teil unserer Gesellschaft. Die erste Ausstellung, die ich hatte, war 2005 in einem amerikanischen Museum. Der Direktor schrieb im Katalog: »Es hat etwas sehr Beruhigendes, wenn das Militär eines Landes bereit ist, Menschen loszuschicken, um Kunst aus dem zu machen, was unsere Brüder und Schwestern im Krieg durchmachen.« So sehe ich das auch.

Gibt es ein Bild, das Sie besonders mögen?
Ja, es entstand 2002. Ich war zum ersten Mal bei einer Kampfpatrouille dabei, am zerstörten Flughafen von Kandahar. Unsere Einheit war eine der ersten, die dort war. Ich kam nachmittags an und ging sofort mit auf Patrouille. Damals war Afghanistan extrem vermint. Jeden Tag ist jemand auf eine Mine getreten. Als wir ausgestiegen sind, wusste ich zum ersten Mal: Das ist jetzt echt. Du bist draußen, überall sind Minen, jeder Schritt ist gefährlich. Als ich wieder in den USA war, habe ich meine Fotos angesehen und daraus ein Gemälde mit dem Titel »Alle Augen nach unten« gemacht. Es zeigt nichts anderes als Marines, die zu Boden sehen, aus Angst vor Minen. Es war ein beeindruckender Moment.

Was würde fehlen, wenn es keine Kriegskünstler mehr gäbe?
Der Krieg würde in der Kunstgeschichte fehlen. Es gäbe ein paar verwackelte Fotos und Youtube-Videos, aber keine künstlerische Auseinandersetzung damit. Fotos sind wie Journalismus, und Zeichnungen sind eher wie Poesie. Sie können auch Fotos in Museen ausstellen, aber an meinen Zeichnungen klebt Schweiß, sie haben eine Geschichte. Menschen reagieren viel stärker, wenn sie sehen: Diese Zeichnung ist aus einem zerfledderten Notizbuch, sie hat Löcher am oberen Rand, und es ist Dreck darauf.

Erschienen auf der Website des Süddeutsche Zeitung Magazins am 4. Februar 2016. Die vollständige Bildergalerie findet sich hier, weitere Informationen über Michael D. Fay gibt es auf seinem Blog “Fire and Ice”.

Lea Hampel