Text • Münchner Merkur

Grässlich geht gut

Jedes Jahr zum Frühlingsfestauftakt pilgern die Münchner auf die Theresienwiese, um zu bummeln, zu kaufen oder zu verkaufen. Heuer kamen 45 000 Besucher, 3000 Aussteller und 5800 Fahrzeuge, schätzt die Polizei. Eine Innenansicht aus Reihe sieben.

Am Anfang war der grässliche Baum. Einen Meter groß, aus buntem Bast, Holzäpfel daran. Jahre hatte er den Flur geziert, „in all seiner Grässlichkeit“, wie meine Freundin meinte, als ich ihn am Samstagmorgen um vier Uhr auf der Theresienwiese aus dem Kofferraum holte. „Wenn den wer kauft, tanzen wir um den Stand“, meint sie. Doch das ist das Ziel: den Baum, unzählige Kleider sowie Nippes zu verkaufen. Dafür hatte ich seit Wochen den Keller durchwühlt, ein Auto organisiert und war Freitag früh schlafen gegangen.

4 Uhr. Bei der Ankunft stehen schon über 200 Autos auf dem Platz, überall werden Klappstühle herum getragen, Tapeziertische aufgebaut, über die Wiesen torkeln halb Schlafende in dicken Pullis, beladen mit Kuscheltieren und einem Ikea-Couchtisch. Viele schieben Kleiderständer vor sich her, während sie unter dem linken Arm eine Lampe oder einen Schirmständer geklemmt haben. Wir überholen einen Mann, dem die Sackkarre mit Bücherkisten umkippt.

5.30 Uhr. Die ersten Besucher grasen bereits mit Stirnlampen die Tische ab, während wir den Tapeziertisch zusammenbauen. Der Schmuck kommt nach vorne, die Kleidung wird gestapelt. Die Bücherkiste, daneben ein Koffer mit Schals. Es ist die Zeit der Schnäppchenjäger. „Was wollt Ihr für den Badezimmerschrank?“, fragt eine Frau, schaut das Monstrum aus den 90er-Jahren an und zuckt mit den Achseln, als sie den Preis, zehn Euro, hört. „Was wollt Ihr für die?“, will ein älterer Mann wissen. Er nimmt die schwarzen Nietenpumps prüfend in die Hand. Als wir ihn fragen, ob er sie anprobiert, geht er weiter. Es ist dunkel und kalt, aber wenige Minuten später kommt der erste Käufer. Ein Paar Snowboardschuhe, zehn Euro, jetzt wird alles gut. 8 Uhr. Wird es auch. Das

Klangspiel findet einen Abnehmer, der Ventilator in Wassermelonenform gefällt einer Frau, die Ministaffelei und der Regenbogenpullover wechseln den Besitzer. Während wir minütlich Münzen gereicht bekommen, kriecht die Sonne den Himmel herauf. Die Vor

beigehenden tragen immer absurdere Gegenstände: ein Emailleeimer mit Löchern, ein Stickbild mit rosa Rosen. Eine Frau schiebt einen Einkaufswagen voll Kleidung. Es wird klar, wonach sich richtet, ob die Menschen Halt machen: bunt muss etwas sein, der Zweck uneindeutig. Immer wieder betrachten Menschen

den Wandteppich-Baum. 9 Uhr. Die ersten 40 Euro sind geschafft, langsam wird die Zeit lang. Das zum Verkauf gedachte Dönerbudenquartett schafft Abhilfe, ebenso das Gespräch mit den Nachbarn. Der Herr rechts will die Handtaschensammlung seiner Freundin verkleinern, das Paar links mistet die Klamotten ihrer drei Kinder aus. Wo es Kaffee gibt, wissen auch sie nicht, wir hoffen auf vorbei laufende Freunde, denn das Handynetz ist zusammengebrochen.

11 Uhr. Mittlerweile drücken sich die Menschen durch die Reihen, Kinderwägen und Rollkoffer rumpeln über den staubigen Boden. Es ist laut, dauernd Sätze wie „Schau mal, wie lustig“ oder „Ohje“, wenn jemand die blaue Lampe mit den Silberfüßchen entdeckt. Flohmarkt, das ist Hosen herunterlassen in Sachen private Geschmacksgeschichte. Das Beruhigende: bei den anderen ist es nicht besser. Der Weg zu den überfüllten Toiletten ist 120 Meter lang und ein Spaziergang durch die deutsche Geschichte: Besteck mit Hakenkreuzen darauf, Nierentische, Bücher von Johannes Mario Simmel und Axel Hacke, Kuschelrock-CDs. An unserem Tisch probiert ein Junge den glitzernden Fächer aus, immer wieder stehen Frauen vor den Pumps und stöhnen bei der Größenangabe 37 voller Schmerz. Ein Paar diskutiert, ob sie für 50 Cent das Schild mit „Will work for chocolate“ kaufen sollen. Sie tun es nicht. Später kommt die Frau wieder und kauft es heimlich für ihren Mann.

13 Uhr. Über den Tag sind die Preise gesunken und die Gutmütigkeit. Zwei Euro sind einer Dame zu viel für eine einst 20 Euro teure Bluse, sie weist darauf hin, dass das hier Flohmarkt sei. Der Gesichter der Vorbeigehenden werden immer röter. Unsere auch. Wir entscheiden, um 14.30 Uhr zu gehen, insgesamt acht Stunden und 230 Euro nach der Ankunft. Wir haben gelernt, dass Frauen mit großen Füßen früher aufstehen, Studenten durchaus früh aufstehen, wenn es um alte Küchentische und Sonnenbrillen geht und dass die Verkaufswahrscheinlichkeit steigt, je sinnloser und bunter ein Gegenstand ist. Finaler Beweis um 14.15 Uhr. Fünf Euro für den Baum, inklusive Tasche zum Heimtragen. Zum Tanzen sind wir zu müde.

Erschienen im Münchner Merkur, Ausgabe 100/2011 vom 2. Mai 2011.

 

 

 

 

Lea Hampel